Dienstag, 19.04.2022

«Das Tessin ist der Merlot und der Merlot ist das Tessin»

Andrea Conconi ist Direktor des Tessiner Weinfördervereins Ticinowine. Der Weinliebhaber hat sein Hobby zum Beruf gemacht.

Ist es richtig, wenn wir uns beim Thema Tessiner Wein nur auf den Merlot konzentrieren?

Mit einem Anteil von 85 Prozent an der Tessiner Produktion ist Merlot zweifellos die wichtigste Rebsorte. Unser Kanton ist eine der wenigen Weinbauregionen der Welt, in der eine einzige Rebsorte so vielseitig in der Weinherstellung eingesetzt wird. So schaffen wir es, sehr gute Rot- und Weissweine herzustellen. Zudem ist der Merlot die am weithäufigsten angebaute Rebsorte der Welt, da sie sich gut an das Mikroklima anpasst. Daher sind wir im Tessin in der Lage, sehr elegante und angenehme Weine zu erzeugen, die sich dem aktuellen Geschmack der Verbraucher sehr gut anpassen.

 

Welche Eigenschaften bringt der Merlot neben seiner Vielseitigkeit mit?

Der Tessiner Merlot hat auch ein gutes Alterungspotenzial. Bei guter Lagerung hält er so lange wie die grossen Weine aus Bordeaux. Um die Eigenschaften in vier Adjektiven zusammenzufassen: vielseitig, langlebig, elegant und angenehm.

 

Das war nicht immer so. Wie hat sich der Merlot-Weinbau im Tessin entwickelt?

Das stimmt, nicht zuletzt, weil die Verbraucherinnen und Verbraucher in den 1990er-Jahren eher strukturierte, tanninhaltige und farbige Weine suchten. Heute ist dies nicht mehr der Fall. Unsere Önologen haben die Barrique-Verwendung verbessert, da sie erkannt haben, dass das Holz vor allem zur Mikrooxygenierung beiträgt, was zu einer grösseren Komplexität führt.

«Junge Menschen arbeiten mehr zusammen als vorherige Generationen.»

 

Und wie wird der Merlot der Zukunft aussehen?

Der Geschmack der Verbraucherinnen und Verbraucher verändert sich. Heute ist weltweit ein Anstieg des Konsums von Schaum- und Weissweinen zu beobachten. Die Rotweine halten sich gut, verzeichnen aber nicht das gleiche Wachstum im Konsum. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass in vielen Ländern der Wein zum Aperitif und weniger zum Essen gereicht wird Rotwein aus Barriqueausbau wird daher ein Nischenwein bleiben. Heute ist auch die Lust auf Rosé wieder da, denn er ist leicht und fruchtig für den Sommer. Wir stellen zudem fest, dass junge Leute heutzutage erst später zum Wein übergehen und zuerst andere Getränke konsumieren. Ich wiederhole also gern: Die Vielseitigkeit des Merlot wird uns in Zukunft entgegenkommen.

 

Beeinflusst das Klima die Wein-Wahl?

Die Häufigkeit, mit der Verbraucher ihre Präferenzen ändern, ist viel höher und einschneidender als der Klimawandel. Mit anderen Worten: Wir brauchen nicht erst auf veränderte Wetterbedingungen zu warten. Denn der Verbraucher sagt uns bereits vorher, was er will. In den letzten Jahren haben sich viele junge Winzer in die Weinwelt gewagt.

 

Wie sehen Sie die neue Generation?

Ich beobachte, dass junge Menschen mehr zusammenarbeiten als vorherige Generationen. Ich stelle fest, dass sie den neuen Verbrauchergewohnheiten offener gegenüberstehen und sich mehrheitlich mit Gleichaltrigen vergleichen, vor allem, was die Art der Weinherstellung und die nachhaltigere Bewirtschaftung der Weinberge angeht. Es wäre schön sagen zu können, dass eines Tages das ganze Tessin biologisch bewirtschaftet wird.

 

Aber müssten dafür nicht andere Sorten verwendet werden, welche widerstandsfähiger sind als der Merlot?

Nein, nicht unbedingt. Es gibt bereits bedeutende Winzer, die nach der ökologischen Methode arbeiten. Die Tatsache, dass Bio-Weine bei verschiedenen Wettbewerben in einer eigenen Kategorie konkurrieren, zeigt jedoch, dass der Bio-Wein noch nicht dort angekommen ist, wo er sein sollte.

 

15 Prozent der Tessiner Weine werden nicht aus Merlot-Trauben gekeltert. Woraus bestehen sie und wie stehen ihre Chancen für die Zukunft?

Der Merlot ist die Lokomotive, die restlichen 15 Prozent sind die Waggons – sie sind wichtig, da sie das Ergebnis der Erfahrungen der einzelnen Winzer sind. Experimente, die im Laufe der Jahre Früchte getragen haben, sind Syrah und Cabernet Franc oder bei den Weissweinen Chardonnay und Viognier. Daher versuchen heute fast alle Erzeuger, Alternativen zum Merlot anzubieten. Je nach Verbrauchernachfrage und neuen Anbaumöglichkeiten wird dieser Prozentsatz zweifelsohne steigen – aber nicht über Nacht. Denn das Tessin ist der Merlot und der Merlot ist das Tessin.

 

ANDREA CONCONI (63)

Beruf: Direktor von Ticinowine seit 2015

Familie: Ehemann und Grossvater

Lieblingsgericht: T-Bone-Steak, Risotto, Lasagne – kurz gesagt, alle Gerichte mit authentischen Aromen

Hobbys: Fotografie, Wein – «Ich habe das Glück, dass mein Hobby mein Beruf ist»

Vision: Ich möchte, dass die Leute ihre Gerichte vom Wein ausgehend wählen