Montag, 30.01.2023

Kulinarische Höhenflüge

Jedes Linienflugzeug ist irgendwo auch ein fliegendes Restaurant. Welche Herausforderungen die luftige Gastronomie mit sich bringt weiss Andreas Schnidrig, Executive Chef Operations und damit Chefkoch der Gate Gourmet Switzerland GmbH in Zürich.

Wie unterscheiden sich Kochen und Menü-Auswahl für eine Airline von denselben Tätigkeiten in einem Restaurant?

Kochen für eine Airline stellt vor allem die Anforderung, dass das Essen gekocht, gekühlt und dann auf dem Flugzeug regeneriert beziehungsweise erhitzt werden muss. Wir kochen aber eigentlich gleich wie andere Grossküchen in Spitälern, Personalrestaurants oder Hotels. Bei uns kommen traditionelle Kochprozesse und Garmethoden zum Einsatz. Die Mengen sind einfach viel grösser.

 

Die Mahlzeiten werden nicht sofort serviert, sondern ins Flugzeug verladen, später aufgewärmt und erst dann verzehrt. Wie beeinflusst das die Arbeit in der Küche?

Die Hygiene-Standards sind sicherlich anspruchsvoller, da der Zeitpunkt der Konsumation der Speisen bis zu 24 Stunden nach dem Anrichten verzögert werden kann, wie etwa auf einem Langstreckenflug. Dies ist in einem Restaurant eher nicht der Fall. Darüber hinaus verwenden wir unterschiedliche, moderne Produktionsprozesse wie Sous-Vide- und Niedergarkochen, und ergänzen die Haltbarkeit bei Bedarf durch Modified Atmosphere Packing, also dem Austausch von Sauerstoff durch Begasung.

 

Wie viele und welche Art von Mahlzeiten produziert Gate Gourmet täglich in Zürich?

Alle Airline-Kunden haben andere Anforderungen und Ansprüche. Wir versuchen diesen jeweils gerecht zu werden. Neben Spezialmahlzeiten aus medizinischen – zum Beispiel salzlos, glutenfrei oder laktosefrei – oder religiösen Gründen – Halal, Hindu oder Kosher – werden die jeweiligen Esskulturen und Ethnien berücksichtigt. Deshalb haben wir chinesische, thailändische und arabische Köche in der Brigade. Die Menge der Mahlzeiten variiert je nach Jahreszeit und Saison, aber wie die Passagierzahlen schwankt auch die Anzahl Essen, die produziert werden. An Spitzentagen können es aber weit über 40 000 Mahlzeiten sein, welche durch Gate Gourmet Zürich auf Flugzeuge beladen werden. 

 

Welche Einkaufsmengen sind dafür notwendig?

Wir verarbeiten unter anderem mehrere Paletten Frischgemüse täglich und an manchen Tagen auch mehrere Tausend Poulet-Brüste. An Spitzentagen werden überdies mehr als   50 000 Brötchen angeliefert. Je nach Menü-Rotation schwanken diese Zahlen aber sehr, was für unsere Lieferanten und unsere Planung nicht immer einfach ist. 

«Wir können bis kurz vor Abflug Nachbestellungen liefern»

 

Gibt es eine Zauberformel für die verschiedenen Menüs oder bekommen Sie genaue Angaben der Airlines über die Anzahl zu erwartenden Flüge und Passagiere pro Tag?

In der Regel erarbeiten wir die Menüs zusammen mit dem Kunden. Dies gibt die besten Erfolgs-Chancen, weil die Airlines ihre Passagierbedürfnisse am besten kennen. Die Kunden definieren dann auch die Anzahl der Gerichte in der Ratio, wie sie beladen werden sollen – zum Beispiel auf 100 Passagiere 60 Prozent Fleischgerichte und 40 Prozent vegetarische Pasta. Die definitiven Passagierzahlen werden dann in regelmässigen Abständen bis zirka vier Stunden vor dem Start kommuniziert. Wir können jedoch bis kurz vor Abflug Nachbestellungen liefern, da sind wir sehr flexibel.

 

Was passiert, wenn Flüge ausfallen, umgeleitet werden oder aus anderen Gründen nicht wie geplant in Zürich starten oder landen? 

Da kommt es darauf an, zu welchem Zeitpunkt wir von der Flugplanänderung oder von einer Verspätung erfahren. Solange das Essen bei uns im Betrieb ist, stellt sich kein Problem, da alles gekühlt und unter Kontrolle ist. Schwieriger wird es, wenn das Flugzeug bereits beladen ist und das Essen beispielsweise im Sommer in einem ungekühlten Flugzeug steht: Dann muss es unter Umständen aus Hygienegründen entsorgt werden. Ausnahmen bilden Konserven oder Produkte wie Konfitüren, Schokolade, UHT-Milch oder Kaffeerahm, die sich bei Raumtemperatur lagern lassen.

 

Wie vermeiden Sie Foodwaste?

Wir versuchen natürlich, so nah wie möglich an den Abflugzeiten zu produzieren. Nicht nur wegen der Qualität, sondern auch, um bestmögliche Passagierzahlen zu haben und so Überproduktion zu vermeiden. Die bereits genannten modernen Produktions-Techniken ermöglichen ausserdem eine höhere Flexibilität und längere Haltbarkeit der Produkte. Wichtig ist zudem das Design der Speisen: Wir müssen nahe beim Passagier sein, um zu wissen, was gerade gegessen wird und was im Trend liegt. Entsprechend arbeitet bei uns ein Team von Entwicklungsköchen, welche teils auch aus der Sternegastronomie kommen. Ein weiterer Trend ist, dass Passagiere ihre Mahlzeiten vorbestellen oder an Bord kaufen können. Sie bekommen dann das Essen, das sie gerne möchten und müssen sich nicht mit etwas begnügen, was ihnen nicht schmeckt. Dies trägt ebenfalls dazu bei, dass weniger Essen entsorgt werden muss.  

 

Die Gastronomie leidet an Personalknappheit. Wie sieht das bei Gate Gourmet aus und wie behilft man sich?

Gate Gourmet Zürich leidet wie die restliche Branche auch unter dem Problem, dass es zu wenig Köche und Patissiers auf dem Markt gibt. Bei uns müssen zwar keine Zimmerstunden und Nacht- oder Abenddienste geleistet werden, unsere Konkurrenz im Arbeitsmarkt sind jedoch vermehrt die Industrie und andere Dienstleistungsbranchen. Während der Corona-Pandemie sind viele unserer Mitarbeitenden in berufsfremde Branchen abgewandert. Daher müssen wir vermehrt auf Halbfertigprodukte und Convenience setzen. Doch heute gibt es sehr gute solche Produkte, die bei uns auch zur Anwendung kommen können. Zudem versuchen wir, Mitarbeitende ohne Kochausbildung intern zu schulen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich auf ein Kochniveau zu entwickeln. Das soll sich dann natürlich auch für die Mitarbeitenden lohnen.   

 

ANDREAS SCHNIDRIG

Alter: 43
Lieblingsgericht: Am Boden das Butter Chicken von meiner Frau. In der Luft ist es ein braisiertes Fleisch, am besten Beef Shortribs, da diese am saftigsten bleiben und viel Aroma haben
Hobbies: Eishockey spielen und schauen, Golf spielen und Reisen, auf denen ich neue Esskulturen entdecken kann

 

Text: Susanne Stettler
Foto: Heiner H. Schmitt