Montag, 11.03.2024

Gut Fleisch will Weile haben…

Bündnerfleisch kann man im Schnelldurchlauf mit technischen und chemischen Helferlein herstellen. Oder so wie Jörg Brügger in Parpan GR. Mit immensem Wissen und handwerklichem Können. Aber das dauert dann halt.

Wenn die Schwalben schon mal das Fluggepäck bereitstellen. Wenn es einen am Morgen plötzlich wieder fröstelt und sich die Sonne nur noch mit Mühe über die Bündner Berge hochstemmt: Wenn das passiert, dann beginnt die grosse Zeit des Jörg Brügger (59). Dann brechen Arbeitstage und -wochen an, die nie aufhören. «Wir machen Bündnerfleisch auf dieselbe Art, wie mein Urgrossvater Engelhard, der den Betrieb 1892 gegründet hat. Und das geht eben nur in der kälteren Jahreszeit. Also sind wir sieben Tage pro Woche an der Arbeit.»

Warum tut sich der Mann das an? Die Produktion von Bündnerfleisch ist eigentlich eine banale Sache für Industrie-Betriebe und dauert je nach Grösse des Fleischstücks um die drei Monate. Die Stücke werden eingenetzt, eingesalzen, getrocknet und dazwischen noch in die viereckige Form gepresst. Fertig.

 

DURCHZUG

Aber das ist nicht einmal die Hälfte der halben Wahrheit und wird weder Jörg Brügger noch dem Bündnerfleisch gerecht. Darum die Geschichte der «Bündnerfleischwerdung» im Hause Brügger von Anfang an: Jörg, seine Frau Marlène (60) sowie seine Töchter Gianina (28) und Ladina (30) sind die Letzten ihrer Art. Die Letzten, die das Bündnerfleisch auf die traditionelle, handwerkliche Art zubereiten. Ihr 1925 vom Urgrossvater erbautes Haus steht bewusst bei einem Bach, im Wald und vor allem ständig im Durchzug auf dem Weg zwischen Chur GR und Lenzerheide GR. «Von Süden her bläst der Föhn, von Norden kommt die Bise», sagt Brügger, der sich bei seiner Arbeit auf das überlieferte Wissen, seine Erfahrung und sein Gefühl verlässt. Verlassen muss. Und auf seine Klimaanlage. Nein, nicht die, mit der industrielle Hersteller dem Fleisch die Feuchtigkeit entziehen und dieses dann nach zwei, drei Monaten in den Verkauf bringen. «Wir regulieren die Feuchtigkeit, aber auch Wärme oder Kälte mit dem Wind, dem Wald, dem Stätzer-Bach und den offenen oder geschlossenen Fenstern», erklärt Brügger. «Aber wenn du Fleisch so trocknest, dann musst du ganz genau wissen, was du tust. Ob der Schnee hinter dem Haus nass oder trocken ist, ob es nur kurz oder dauerregnet, ob die Sonne scheint oder nicht – alles hat einen Einfluss. Du musst entscheiden, wann du die Fenster öffnest oder schliesst. Und halt auch mal in der Nacht dafür aufstehen, denn es kommt auf Stunden an.»

 

GRATWANDERUNG

In einem Anflug von Technikgläubigkeit hat sich der Parpaner einmal ein kleines Gerätchen gekauft, mit dem er die Feuchtigkeit messen kann. Aber er hat keine Ahnung mehr, wo das Teil liegt. «Ich brauche es auch nicht. Wenn ich wissen will, wie es dem Fleisch geht, rieche, drücke und klopfe ich daran.» Das Ganze ist eine Gratwanderung und wenn die Brüggers dabei etwas falsch machen, stürzen sie ab. Die Fleischstücke ein paar Stunden zu lang auf dem Balkon? Das lässt die äussere Schicht zu schnell trocknen, der Kern allerdings bleibt feucht und das Fleisch wird fehlfarbig. Brüggers Bündnerfleisch stammt ausnahmslos von Schweizer Tieren. Für Transgourmet/Prodega verwendet er Fleisch vom Schweizer Weiderind, welches fertig verarbeitet als Origine Brügger Bündnerfleisch verkauft wird. Und so schmeckt man bei Jörg Brügger die einzigartige Qualität: «Sowohl die Umgebung, als auch das Futter und der Umgang mit dem Tier hinterlassen Spuren im Geschmack.»

 

EINFACH GUTES FLEISCH

Während Jörg Brügger erzählt, spielen die Magensäfte verrückt. Doch der Bündner ist ein sensibler Mensch. «Das musst du sein, wenn du so arbeitest wie wir», wird er später sagen. Auf jeden Fall schneidet er hauchdünne, marmorierte Scheiben und sagt dabei: «Ich verwende einfach etwas Kochsalz, eine BIO-Kräutermischung sowie den natürlichen Salpeter (E252). Wir brauchen keinen Milch-Traubenzucker und keine Starterkulturen.» Sogar diese Salz-Kräutermischung wird während des Trocknungsprozesses weggewaschen. «Das Produkt soll einfach nach dem schmecken, was es ist: richtig gutes Bündnerfleisch.»

 

 

JÖRG BRÜGGER

Alter: 59
Lebensmotto: Es ist egal, was man macht im Leben. Aber wenn man am Abend auf der Bettkante sitzt, muss man sich sagen können: Für mich stimmt es. Wenn man das sagen kann, ist man ein glücklicher Mensch
Lieblingsautor: Bodo Janssen
Lieblingsberg: Churer Joch
Sehnsuchtsort: Am Wasser und viel Sonne
Traum: Noch viele schöne Momente mit meiner geliebten Frau und meinen beiden Töchtern

 

 

Text: Franz Bamert
Foto: Eliane Beerhalter