Donnerstag, 11.11.2021

Persönlich

Was beim Fleisch als «Nose to Tail» bekannt ist, nennt Esther Kern beim Gemüse «Leaf to Root®». Die Food-Journalistin und Kochbuch-Autorin wurde dafür international ausgezeichnet. Mit ihrem neuen Projekt«Veg-Alp» will sie Gemüse nochmals neu erfinden.

Eigentlich ist Esther Kern nicht nur Autorin, sondern auch Wissenschaftlerin. Sie erkundet nämlich seit Jahren teils unerforschtes Terrain, spürt dabei altem Know-how nach, entdeckt Neues und geht manchmal auch Risiken ein. Die 52-Jährige sammelt Rezepte und Zubereitungen für ungewöhnliche Gemüseteile. Zum Beispiel für Rüeblikraut, Rettichblätter oder Wassermelonen. Dabei kommen so aussergewöhnliche Gerichte wie Gewürz-Püree aus Kürbisblättern, Magnolienblüten-Salat sowie Miso-Gemüsebrühe aus Schalen und Abschnitten heraus.

 

Schlüsselerlebnis

Den berühmten Aha-Moment hat Esther Kern 2014 in ihrem Garten: «Ich erntete Rüebli und fragte mich plötzlich: ‹Warum werfe ich eigentlich das Rüebligrün weg?› Nicht einmal ich als Bauerntochter wusste, was man damit macht. Ich fragte meine Mutter, Bekannte und Verwandte, aber auf Anhieb konnte mir niemand viel über die Zubereitung ungewöhnlicher Gemüseteile erzählen.» Doch wer kochen will, braucht Rezepte. Und wer Neues kochen will, braucht neue Rezepte. Die Zürcherin möchte herausfinden, welche sonst verschmähten Gemüseteile man wie zubereiten kann. «Das war der Beginn meiner Odyssee», erklärt sie. Im gleichen Jahr startet Esther Kern die Aktion «Leaf to Root®» (vom Blatt bis zur Wurzel). Das gleichnamige Buch erscheint 2016 und wird nicht nur zum Bestseller, sondern unter anderem an den «World Gourmand Awards» mit dem dritten Platz als eines der weltbesten vegetarischen Kochbücher ausgezeichnet. Am selben Wettbewerb wird ihr Blog (www.leaf-to-root.com) in der Kategorie «Beste private Foodwebsite» gar zum «Best in the World» gekürt.

 

«Manchmal fragte ich mich: ‹Esther, was machst du da überhaupt?›»

 

Langer und steiniger Weg

Bis zu ihrem revolutionären Werk muss sie einen weiten Weg zurücklegen: Sie befragt Köche, schmökert in historischen Kochbüchern und Aufzeichnungen. Der Weg ist zuweilen steinig, ihre Idee erntet selbst bei Küchenchefs und Lebensmittelexperten nicht immer Beifall. «Sie begriffen nicht, warum man diese Gemüseteile essen soll», erzählt die Pionierin. «Manchmal sass ich in meinem Kämmerlein und fragte mich: ‹Esther, was machst du da überhaupt?›» Die wichtigsten Fragen sind: Was ist geniessbar, was giftig und in welcher Dosis? Und mindestens ebenso bedeutend: Was schmeckt gut und wie kann man es zubereiten? «Meines Wissens nach gibt es beim Ackergemüse nichts, das so giftig ist, dass bereits kleine Mengen davon tödlich wirken. Trotzdem bin ich vorsichtig, wenn ich Neues ausprobiere.» Bevor sie aber etwas isst, wird ausgiebig recherchiert. Ihr heute elfjähriger Sohn macht bereits früh mit harmlosen Gemüseteilen Bekanntschaft. «Er liebt Kohlrabi und Chips aus Kohlrabi-Blättern», sagt die Mutter.

 

Das neuste Projekt

Ihr Wissen teilt die Autorin als gefragte Gemüse-Scout, Referentin und Workshop-Leiterin. Seit zwei Jahren arbeitet Esther Kern an ihrem neusten Projekt: Veg-Alp (veg-alp.com). Gemeinsam mit Spitzenkoch Jann M. Hoffmann und der Organisation graubündenVIVA ergründet sie die Frage, ob eine Alp vegetarisch geführt werden kann. Und ob sich aus Randen auch eine Art Bündnerfleisch herstellen lässt. «Wir haben aus ganzem Gemüse eine Art Charcuterie gemacht», erklärt sie. Um dem so genannten «Beet Meat» den nötigen Schub zu verleihen, hat Esther Kern auf der Plattform wemakeit.com ein Crowdfunding gestartet: «Fast täglich habe ich Anfragen aus dem Handel für Beet Meat, wir können aber bislang nur kleine Chargen produzieren. Um marktfähig zu werden, brauchen wir Kapital.» Es mag vielleicht überraschen, dass die Gemüse-Expertin keine Vegetarierin ist. Aber wenn Fleisch auf den Teller kommt, dann nur von artgerecht gehaltenen Tieren. Vor die Wahl gestellt, würde Esther Kern sich aber immer fürs Rüebli, Randen und Co. entscheiden.

 

Esther Kern

Alter: 52

Familie: ein Sohn (11)

Lieblingsessen: Gebratener Strunk vom Blumenkohl mit seinen Röschen an Aquafaba-Mayo von Simon Widmer – einfach grossartig.

Hobbys: Beim Wandern geht mir das Herz auf

estherkern.ch