Montag, 19.06.2023

Sue Tobler, die Genussexpertin

Auf den ersten Blick haben Wissenschaft und Genuss nicht viel miteinander zu tun. Auf den zweiten aber schon. Denn Sue Tobler und ihr Partner kommen im Labor auf den Geschmack.

Die Kreativität und die Liebe zum Kochen habe ich von meiner Mutter mitbekommen», sagt Sue Tobler. Da sie aber irgendwie alles interessierte, auch Naturwissenschaften, begann sie erst einmal ein Studium der Astrophysik an der ETH Zürich. Im «Studiverband» lernte sie Remo Gisi (37) kennen, damals noch Informatik-Student, und gemeinsam mit 500 freiwilligen Helferinnen und Helfern begannen sie, für Events mit bis zu 6000 Personen zu kochen. Sue Tobler machte ihren Master und arbeitete dann drei Jahre in einer grossen Rückversicherung, bei der sie Flut- und Sturmdaten modellierte – eine rein datenbasierte Computerarbeit. «Das war nicht mein Ding. Das Kochen hatte mich nie losgelassen und ich geniesse es, interdisziplinär zu arbeiten», erzählt sie. «So kündigte ich und arbeitete danach zwei Jahre bei Caterern, Köchen und auf Weingütern.»

Wie kocht man Spargel am besten? Und was passiert dabei mit den Pflanzenteilen? Selbst in bescheidenen Gerichten steckt jede Menge Physik und Chemie. Die Idee, Wissenschaft und Essen miteinander zu verbinden, konnten Sue Tobler und Remo Gisi 2016 mit ihrem ersten Tastelab verwirklichen: als vierwöchiges Pop-up-Restaurant für 5000 Personen auf der extra dafür gebauten Terrasse der ETH Zürich. Sie servierten feines Essen und passend zu jedem Gang ein Stück Wissenschaft, als Beilage sozusagen: Zum Spargelgang mit Eigelb-Creme erfuhr der Gast, was beim Kochen des Eigelbs bei verschiedenen Temperaturen passiert und wie der Proteinmix dabei denaturiert. Dazu gab es auf jedem Tisch eine Schachtel mit sechs Gipseiern, auf die ein Roboter die zugehörigen wissenschaftlichen Fakten geschrieben hatte. Weitere Mittel sind unter anderem Videos, Livestreams und auch Street Art.

2017 konnten sich die beiden jungen Wissenschaftler mit ihrem Tastelab in Zusammenarbeit mit der ETH am WEF in Davos GR erstmals einem internationalen Publikum stellen: In einfachem Holzambiente wurde neben qualitativ hochstehendem Essen per Storytelling auf Wandtafeln Hintergrundwissen mitgeliefert – genau abgestimmt auf die von der ETH am WEF vorgestellten Forschungsprojekte. Inzwischen findet dieses Event jährlich statt, seit 2019 übrigens vegan.

Ein Autobauer kontaktierte Sue Tobler und Remo Gisi zur Lancierung seines neuen Elektroautos. Sie schlugen für ein besonderes Event mit Essen das Thema Nachhaltigkeit vor, welches sie seit einer Präsentation am WEF nicht mehr losgelassen hatte. Denn ihre Nachforschungen hatten gezeigt, dass 80 Prozent der Probleme lösbar sind, wenn man auf tierische Produkte verzichtet. «Das war eine klare Message, komplett vegan zu sein und für uns eine totale Umstellung, hatten wir ja mit Fisch, Fleisch, Eiern und Milch gekocht», erzählt Sue Tobler. Die Transformation ist ihnen gelungen: Das Feedback des Autoherstellers und seiner Kunden waren überzeugend.

«Man kann fantastisch pflanzenbasiert kochen.»

«Nachhaltigkeit wird oft negativ dargestellt. Durch unser Storytelling bemühen wir uns, positiv zu vermitteln, dass man fantastisch pflanzenbasiert kochen kann. Das Ausmass an Möglichkeiten ist noch gar nicht überschaubar, denn von 200 000 essbaren Pflanzen sind nur 200 geläufig», erklärt sie.

Man soll sich eine Nische schaffen und sich darin spezialisieren, anstelle es allen recht machen zu wollen, davon ist Sue Tobler überzeugt. Sie und ihr Partner sind damit gut gefahren: Pro Jahr bereiten sie etwa eine Handvoll Events vor. Die Planung machen sie gemeinsam, dann wird daheim in der professionell ausgestatteten Küche gestartet. Anschliessend geht es in eine gemietete Catering-Küche, in der Hunderte Kilogramm vorproduziert werden. Das benötigte Personal besteht aus Profis, die alle eine Ausbildung in der Gastronomie und sowohl Verständnis als auch Passion für das anspruchsvolle Storytelling haben. Denn das macht gut die Hälfte des Erfolges aus.

Im Jahr 2020 war die Auftragslage suboptimal und aus der Not heraus kam den beiden Tüftlern die Idee, ihr Kochwissen und auch Rezepte in Apps zu teilen. Kulinarik-Expertin Sue Tobler kümmert sich dabei um den Inhalt, der Informatiker Remo Gisi ums Programmieren und die Grafiken. Eine Umrechnungs-App hilft, knifflige Einheiten wie Pounds und Cups in Rezepten in geläufige Kilogramm und Liter zu wechseln. Ein Quartett vermittelt spielerisch wissenschaftliche Fakten zum Thema Nachhaltigkeit. Man darf gespannt sein, was den beiden als Nächstes in den Sinn kommt.

 

SUE TOBLER
Alter: 37
Hobbys: Kochen und Essen, Circuit Training, Interior Design
Lieblingsessen: Mamas Rüeblikuchen

 

Mehr erfahren unter tastelab.ch
 

Text: Petra Mürschel-Evans
Foto: Christoph Kaminski