Montag, 28.08.2023

Direktion vorwärts

Die Direktorin der École Hôtelière de Genève (EHG), Susanne Welle, sieht die Zukunft des Gastgewerbes positiv. An ihren Studierenden schätzt sie frische Ideen und spannende Inputs.

In diesen Tagen beginnt das Semester an der EHG. Mit welchem Gefühl starten Sie ins Schuljahr?

Es freut mich, dass sich die Schülerzahl nach einem Einbruch vor einigen Jahren erholt hat. Das Gastgewerbe ist eine grossartige Branche mit vielen Möglichkeiten. Zwar werden oft die negativen Aspekte betont, aber diese Arbeit kann viel Freude bereiten. Ich freue mich, dieses Bild den Schülerinnen und Schüler zu vermitteln.

 

Was lernen die Studierenden zuerst?

In der Einführungswoche wird am Auftritt gefeilt. Die Studenten und Studentinnen repräsentieren unsere Schule und unseren Berufsstand. Kleider bügeln, Haare und Bart frisieren, Schuhe putzen – das gehört alles dazu. Danach haben die Studierenden ihre Kurse, jeweils immer eine Woche Theorie und eine Woche Praxis. Die Praxistage für Küche und Service finden bei uns im Haus statt. Housekeeping und Reception ist unter dem Dach unseres Partner-Hotels Marriott.

 

Zusätzlich zur Direktion in Genf hatten Sie in den vergangenen zwei Jahren auch die Leitung der Hotelfachschule Zürich (HFZ) inne. Welche Bilanz ziehen Sie?

Meine Hauptaufgabe war, die beiden Schulen anzugleichen, unter anderem das Branding der Hotelfachschule Zürich – ehemals Belvoirpark Hotelfachschule – zu ändern sowie die Kurse und Kalender anzupassen. Das ist gelungen, doch uns wurde klar, dass die Direktion an beiden Schulen je eine Vollzeitstelle braucht. Ich bin froh, mich jetzt wieder auf die Schule in Genf konzentrieren zu können. 

 

Inwiefern unterscheiden sich die Kulturen der EHG und der HFZ?

Wir haben in beiden Schulen an der Betriebskultur gearbeitet, insbesondere aber an der HFZ, wo wir auf die Fehlerkultur fokussiert haben. Das neue Prinzip lautet: Man darf Fehler machen, aus Fehlern lernt man. Auch die Partizipation wird jetzt gross geschrieben. Aber man kann nicht an beiden Schulen alles gleich machen. In Zürich haben wir das «Du» eingeführt. In Genf hingegen wollte der Grossteil der Studentenschaft beim «Sie» bleiben. Generell ist die Kultur in Genf etwas strenger, es herrscht Uniformpflicht. Das wird jedoch geschätzt. Trotz Anpassungen ist es wichtig, dass beide Schulen ihren Charakter behalten.

 

Die Branche ändert sich, ein wichtiger Treiber ist die Digitalisierung. Wie schätzen Sie diesen Fortschritt ein?

Im Unterricht arbeiten wir auf digitalen Lernplattformen und behandeln Online-Tools zur Reservation oder fürs Marketing. Doch ich bin überzeugt, dass die persönliche Gästebetreuung Zukunft hat. Ich sehe hier einen Gegentrend zur Digitalisierung. Die Gäste möchten kleine, intime Hotels. Sie wünschen sich eine authentische Erfahrung. Software ist punktuell sinnvoll: Welcher Gast nimmt den Kaffee mit Zucker oder Milch? Dafür gibt es Programme. So schaffen wir eine Verbindung von Digitalem und Analogem. Natürlich habe ich auch schon Pâtisserie aus dem 3D-Drucker gesehen oder Roboter, die servieren. Ganz
ehrlich: Das ist spannend für ein Event. Ich bezweifle aber, dass es sich breitflächig durchsetzen wird.

 

Worauf achten Sie, wenn Sie Gast in einem Hotel sind?

Dass ich gut betreut werde und dass das Personal Freude an der Arbeit hat. Früher war der «unsichtbare» Kellner das Ideal, doch das ist vorbei. Heute wird es von den Gästen geschätzt, wenn ein Mensch seine Persönlichkeit in die Arbeit einbringen kann. 

 

Das Gastgewerbe ist im digitalen Raum einer ständigen Bewertung ausgesetzt. Wie geben Sie Feedback?

Ich spreche Probleme vor Ort an, denn dann gebe ich einem Hotel die Chance, sich zu verbessern. Im Idealfall reise ich als glücklicher Gast wieder ab. Ich informiere mich aber gerne über Online-Bewertungen über ein Hotel – ob es gut gelegen ist, ob es eher ruhig ist – das sind Informationen, die auf der Webseite nicht immer zu finden sind. 

 

Gibt es etwas an den EHG-Studentinnen und -Studenten, das Sie besonders beeindruckt?

Im fünften Semester absolvieren unsere Studierenden ein «Bootcamp». Sie haben zwei Tage Zeit, um an einer innovativen Idee zu arbeiten, die sie dann einer Jury mit externen Fachpersonen vorstellen. Ich liebe es, den Elan der Schülerschaft zu sehen. Manche Ideen sind auch etwas verrückt – zum Beispiel ein Fitnesswagen im SBB-Zug. Aber genau das gefällt mir. Vielleicht werden diese Ideen einmal realisiert, wer weiss?

 

SUSANNE WELLE
Alter: 51
Hobbies: Aktiv sein. Je nach Jahreszeit Yoga, Wandern, Langlauf oder Skifahren
Lieblingsspeise: Pastagerichte, gerne mit Trüffel
Lieblingshotel: Chetzeron in Crans-Montana VS

 

Text: Simone Knittel
Foto: Valentin Flauraud