Montag, 11.09.2023

Hohe Gastronomie: Wirten auf 2800 Meter

Ein Kleinkind. Zwei, die sich gefunden haben. Sieben Monate Saison. Sieben Hühner. Alle zwei Wochen anderthalb Tonnen Nahrungsmittel per Heli. 4000 Übernachtungen, unzählige Berge und Gletscher. Das sind die Eckdaten der SAC-Hütte Tierbergli im Haslital.

Es gibt mittlere, lange und sehr lange Wege auf die SAC-Tierberglihütte oberhalb Meiringen BE. Und dann gibt es noch den Umweg über die Seychellen, Hamburg und ein paar weitere Haltestationen an der Strasse des Lebens. Diesen Umweg hat Nina Reinschmidt genommen. Toni Flühmann, mit dem sie seit drei Jahren die SAC-Hütte führt, war eigentlich immer schon da. Oder nur einen Katzensprung entfernt unten im Haslital, wo er aufgewachsen ist.

«Beide träumten wir den Traum, eine SAC-Hütte zu führen. Dann kreuzten sich unsere Wege und jetzt realisieren wir diesen Traum gemeinsam», erzählt Nina (auf SAC-Hütten ist man per Du). Aber Träume müssen ja nicht zwangsläufig etwas Romantisches an sich haben. Und wenn 80 wandermüde Gäste betreut, bekocht, beauskunftet und notfalls auch

beruhigt und medizinisch oder seelisch betreut werden wollen, sieht das für Aussenstehende eher wie ein Alptraum aus. Allein schon die Logistik: Woher und wie kommen die Nahrungsmittel auf die Hütte auf 2800 m.ü.M.? Die Antwort gibt am nächsten Morgen der Helikopter. «In der Hochsaison fliegt er alle vierzehn Tage knapp anderthalb Tonnen Nachschub auf die Hütte», sagt Toni. «Die Prodega und die lokalen Lieferanten verpacken die Waren flugfähig und liefern sie direkt am Heli-Port in Meiringen an.» Etwas komplizierter gestaltet sich die Feinplanung: Wie viele Gäste sind angemeldet? Spielt das Wetter mit? «Falls nicht, kommen dann vielleicht 20 statt der angemeldeten 80 Personen», erklärt Toni. Als Quereinsteiger mussten er und Nina diese und weitere Erfahrungen erst machen. Nina arbeitete früher als Eventmanagerin, Toni als Maurer-Polier. Toni: «Klar haben wir Lehrgeld bezahlt, aber jetzt haben wir das Ganze – auch dank vier super Hüttengehilfen und Freunden – ganz gut im Griff. Alle machen hier oben vom Kochen über das Servieren, WC- oder Zimmerputzen, alles.»

 

LANGE TAGE

Der Tag beginnt um 3.15 Uhr und endet um 22.30 Uhr. Nina zeigt Betten- und Tischpläne, die täglich neu gemacht werden müssen, um alle Gäste zufriedenzustellen. Das ist nicht immer ganz leicht, denn auch auf einer SAC-Hütte werden inzwischen grössere Ansprüche gestellt. Unter den Berggängerinnen und Berggängern gibt es Vegetarier, Laktose-Intolerante und Gäste, die dieses oder jenes nicht mögen. Es ist noch nicht ewig her, da war man zufrieden, wenn man als Gast auf einer SAC-Hütte eine mitgebrachte Wurst in der Hütten-Suppe wärmen durfte. Inzwischen ist auf der Tierberglihütte ein Viergang-Menu Standard. Die Tagesgäste laufen in rund zwei bis drei Stunden von der Susten-Passstrasse (Bus-Haltestelle Steingletscher oder Parkplatz Umpol) zur Hütte. Andere bleiben hier, machen Gletscher-, Kletter- oder Bergtouren. Sie bringen alle Hunger mit. Und alle haben Freude am jüngsten Tierbergli-Bewohner. Dieser heisst Yannick und ist der acht Monate

alte Sohn von Nina und Toni und deren ganzer Stolz und Freude. «Schon ich durfte bei meinen Eltern, zwischen Küche und Gaststube auf einer SAC-Hütte aufwachsen. Etwas Schöneres kann ich mir darum für Yannick gar nicht vorstellen», sagt Toni. Im Winter ist die Hütte nicht bewartet. Die Familie wohnt im Tal, Nina und Toni arbeiten dann in ihren gelernten Berufen.

 

DER ZAUBER DES BERGS

Gegen Abend kommt doch romantische Stimmung auf. Vom Tal her kriechen immer länger werdende Schatten hinaus. Die Gletscher und Berge ringsum röten sich. Gäste und auch Gastgeber werden fast andächtig ruhig beim Anblick dieses Naturschauspiels. «Du kannst das schon 1000 Mal gesehen haben, es ist jedes Mal einzigartig und traumhaft schön», sagt Nina. Und trotz 15-Stunden-Tagen, trotz kaum vorhandener Privatsphäre und trotz langer Monate ohne Kino, Sport oder Ausgang: In diesem Moment möchte man gerne wie Toni und Nina sein.

 

 

NINA REINSCHMIDT

Alter: 30
Lieblingsessen: Lasagne
Lieblingsbuch: Keine Zeit zu lesen
Lieblingsberg: Der Glatten, mein erster Skitourenberg
Sehnsuchtsort: Südamerika

 

TONI FLÜHMANN

Alter: 33
Lieblingsmusik: Volksmusik
Passion: Jagd
Hobbies: Singen, Klettern, Skitouren
Traumziel: Alaska

 

Mehr erfahren unter tierbergli.ch

 

Text: Franz Bamert

Foto: David Birri