Montag, 18.09.2023

Weinrebe im Wandel

Der Klimawandel stellt auch die Winzerinnen und Winzer vor Herausforderungen. Jean-Philippe Burdet, Professor und Forschungskoordinator am Institut Changins, dem nationalen Kompetenzzentrum für Hochschulbildung in Weinbau und Önologie in Nyon VD, über die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf den Weinbau und den Geschmack des Weins, den wir in Zukunft trinken werden.

 

Im Jahr 2022 begann die Weinlese im Tessin so früh wie seit sieben Jahren nicht mehr. Ist das ein Trend oder eine Ausnahme?

Der Temperaturanstieg begünstigt die Reifung der Trauben, und wenn die Durchschnittstemperatur weiter ansteigt, wird die Ernte früher beginnen. Die frühe Reife ist ein etablierter Trend, aber es gibt auch Jahre, die gegen den Trend laufen, wie zum Bespiel 2021 oder 2016 in der Westschweiz.

 

Höhere Durchschnittstemperaturen, aber auch Dürreperioden. Was geschieht im Weinbau?

Weintrauben gehören zu den trockenheitstolerantesten Kulturpflanzen überhaupt. Moderater Wasserstress ist für eine gute Beerenqualität notwendig. Ein trockenes Jahr wie 2022 wird bessere Trauben hervorbringen als ein nasses Jahr und es schützt die Reben auch vor Krankheiten. Alle Winzerinnen und Winzer in der Westschweiz werden Ihnen sagen, dass sie ein trockenes Jahr wie 2022 einem nassen Jahr wie 2021 vorziehen!

 

Also alles positiv?

Nein, denn zu viel oder zu lange Trockenheit hemmt das Wachstum der Reben. Die Rebe bildet weniger Blätter aus, die Photosynthese ist geringer und in schweren Fällen werden die Entwicklung und die Reifung der Trauben gehemmt. Die Beeren bleiben klein und haben wenig Saft. Die Aromasynthese wird blockiert und die Trauben schmecken weniger gut. Starke Trockenheit kann aber auch die Entwicklung im folgenden Jahr beeinträchtigen: Weil die Rebe weniger Reserven aufnehmen konnte, fällt unter Umständen ihr Wachstum geringer aus und sie wird weniger fruchtbar sein.

 

Führt das Institut Changins Studien zu diesem Thema durch?

Ja, wir haben mehrere Projekte im Zusammenhang mit dem Klimawandel und der Widerstandsfähigkeit der Rebe. Wir arbeiten an hitze- und trockenheitsangepassten Unterlagsreben, die in mediterranen Weinbergen üblich sind. Ausserdem testen wir Biostimulanzien, dank denen die Pflanze der Hitze besser widerstehen kann. Zudem arbeiten wir an mehreren Projekten zur Begrünung des Bodens, um die Konkurrenz zwischen Reben und Gräsern um Wasser zu begrenzen und gleichzeitig den Einsatz von Herbiziden oder die Bodenbearbeitung zu beschränken, welche die Erosion fördern kann.

 

«Die Herausforderungen sind zahlreich.»

 

Welche Herausforderungen erwarten die Weinbäuerinnen und Weinbauern?

Die Herausforderungen sind zahlreich, lassen sich aber in einem Satz zusammenfassen: Rebsorten anpflanzen, die an den Klimawandel angepasst, tolerant gegenüber Krankheiten, Wasserstress und Hitze sind und es ermöglichen, Weine zu produzieren, die den Weintrinkerinnen und Weintrinkern gefallen. Egal, ob in heissen und trockenen Gebieten oder in gemässigten und feuchten Zonen!

 

Wird der Wein der Zukunft auch geschmacklich anders sein?

Die frühe Reifung begünstigt zuckerreiche Trauben mit geringem Säuregehalt. Um eine gute Tanninreife zu erreichen, müssen die Winzer jedoch warten, da die Tanninreife nicht immer so früh eintritt wie die Zuckerreife. Trauben mit hohem Zuckergehalt ergeben Weine mit hohem Alkoholgehalt. Heutzutage sind Weine mit einem hohen Alkoholgehalt aber nicht unbedingt gefragt. Die Winzerinnen und Winzer müssen daher weniger frühreife Rebsorten anbauen oder reichhaltigere Weine erzeugen.

 

«Der Schweizer Weinbau hat bisher profitiert»

 

Gibt es Rebsorten, die speziell unter diesen Veränderungen leiden werden?

Früh reifende Rebsorten in den wärmeren Regionen der Schweiz werden unter der Erwärmung leiden, wie etwa der Pinot Noir in den besten Lagen des Wallis. Insgesamt hat der Schweizer Weinbau bisher vom Klimawandel profitiert und die produzierten Weine sind von besserer Qualität als vor 40 Jahren, weil die Trauben besser reifen. Offen ist jedoch die Frage, ob die neuen krankheitsresistenten Sorten wie Divico oder Divona sich langfristig halten können, da sie früh reifende Sorten sind. Für wärmere Regionen wie das Tessin oder das Wallis ist das nicht ideal.

 

Ist die Migration der Produktion in den Norden oder in höhere Lagen denkbar?

Nein. In der Schweiz dürfen wir ohne Bewilligung nicht überall Rebstöcke pflanzen, wo wir wollen. Es gab Anträge, die abgelehnt wurden – zum Beispiel in Château d’Oex im Kanton Waadt. Wir beobachten allerdings, dass spätere Rebsorten in Regionen gepflanzt werden, die nicht an diese Sorten gewöhnt sind: Merlot im Kanton Waadt oder in der Deutschschweiz, Savagnin blanc im Kanton Waadt und in Genf, einige testen sogar Nebbiolo im Tessin oder im Wallis.

 

 

JEAN-PHILIPPE BURDET

Alter: 55
Lieblingswein: Bei den Weissweinen ein Chasselas aus dem Waadtland, bei den Rotweinen ein Pinot Noir aus der Côte du Rhône (Frankreich).
Spezialität in der Küche: Ich mache ein ausgezeichnetes Fondue, von dem meine Familie sagt, es sei besser als eines im Restaurant.
Hobbys: Landwirtschaft und Wandern

 

 

Text: Elisa Pedrazzini
Foto: Marius Affolter