Montag, 25.09.2023

Das Klima im Blick

Mit Food2050 rollen Christian Kramer (41) und Adrian Hagenbach (45) einer neuen Bewertung den Teppich aus: Ihre Software gibt an, wie sich ein Menu auf die Erwärmung des Klimas auswirkt – in Grad Celsius.

Was ist Food2050?

Christian Kramer: Food2050 ist eine App, die Gastronomiebetrieben hilft, die Klimawirkung und Ausgewogenheit ihrer Menüs zu berechnen und zu kommunizieren. Oft haben Gäste und auch Gastronomen Schwierigkeiten, die Auswirkungen einer Speise auf das Klima und die Gesundheit zu verstehen. Unsere App schafft Abhilfe. Sie bietet eine aussagekräftige Temperaturangabe in Grad Celsius sowie eine Angabe zur Ausgewogenheit nach Empfehlung der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung für jede Speise.

 

Warum ist die Einheit ausgerechnet Grad Celsius?

Adrian Hagenbach: Wir glauben, dass die Temperaturangabe zur potentiellen Erderwärmung die einzige wirklich aussagekräftige und verständliche Grösse für das breite Publikum ist. Seit dem Pariser Klimaabkommen ist sie ein wichtiger Wert zur Berechnung der Auswirkungen des Klimawandels, mit stetig steigender Bekanntheit. Andere Metriken haben dort versagt: Der durchschnittliche Konsument kann beispielsweise nicht einschätzen, was ein Kilogramm CO2 genau bedeutet, und dies auch nicht, wenn man diesen Wert beispielsweise in eine Autofahrt oder Anzahl Duschen übersetzt. Indem wir die Klimawirkung in Grad Celsius Erderwärmungspotential angeben, wird es verständlicher und greifbarer, wie sehr ein Gericht potentiell zum Temperaturanstieg beiträgt. Da ein Drittel der Klimaemissionen weltweit aufgrund der Ernährung anfällt, ist dies ein wichtiger Hebel.

 

Wie genau funktioniert die Software?

Kramer: Unsere Software stellt eine Schnittstelle zu den bestehenden Waren-Wirtschaftssystemen der Gastronomiebetriebe her. Dort sind die Rezepturen und geplanten Einkäufe erfasst. Wir verlinken diese Daten mit einer externen Datenbank – die von Eaternity erstellt wurde, einem Unternehmen, das schon viele Jahre CO2-Bewertungen durchführt. Dann ziehen wir alle Informationen zusammen und übersetzen sie in unser Modell, das aussagekräftige Informationen zur Klimaverträglichkeit und Ausgewogenheit eines Menüs liefert.

 

Das klingt kompliziert.

Kramer: Am Beispiel Mensa-Betrieb funktioniert es so: Wenn du als Gast den Newsletter mit dem Menüplan der aktuellen Woche erhältst, siehst du bereits bei jedem Gericht eine Angabe zu Klimawirkung und Ausgewogenheit. Über einen Link kannst du sodann auf ein digitales Profi l zugreifen, welches weitere Details enthält. wie etwa die Inhaltsstoff e oder Allergene. Auch während des Besuchs in der Mensa kannst du einen QR-Code scannen und dich informieren und uns im Anschluss ein Feedback zu deiner Speisewahl abgeben. Wir ziehen alle Informationen zusammen und können zum Beispiel Aussagen machen, was die Klimawirkung eines bestimmten Mensabetriebs ist – beispielsweise hier in der Zürcher Hochschule der Künste im Toni Areal –oder welche Menus am besten oder am schlechtesten abschneiden.

Hagenbach: Wenn du als Koch oder Köchin beispielsweise ein Züri-Geschnetzeltes planst, siehst du dank unserer Software, wie die Klimawirkung aussieht. Kleine Änderungen, zum Beispiel saisonales Gemüse aus der Region statt Importware, oder das Ersetzen von Kalbfleisch durch Geflügel können bereits einen grossen Unterschied machen und die Klimawirkung einer Mensa verbessern. Manchmal reicht es auch schon, die Portionengrösse einer Komponente anzupassen.

 

Kommt bei der ganzen Idee nicht der Genuss zu kurz?

Hagenbach: Im Gegenteil. Wir tüfteln im Rahmen von Food2050 auch immer an neuen Rezepturen, bei denen Geschmack und Aussehen eines Menüs absolut zentral sind. Wir kommen beide aus der Gastronomie und sind uns bewusst, wie wichtig ein attraktives Menü ist. Unsere Erkenntnisse und Rezepte teilen wir mit unseren Partnerinnen und Partner.

 

Wer sind eure bisherigen Kunden?

Hagenbach: Unsere grösste Kundin ist die Gastronomiegruppe ZFV, die in der ganzen Schweiz diverse Schul-, Universitäts- und Büromensen betreibt. Diese Betriebe können wir im laufenden Jahr mit unserer Software ausstatten. Das Spannende daran: Die Betriebe können sich untereinander vergleichen, und schauen, welche klimafreundlichen Gerichte gut angekommen sind und welche weniger. Unsere Software eignet sich am besten für grössere Betriebe mit planbaren Variablen in der Gastronomie oder auch im Retail. Da Kundinnen und Kunden immer mehr Wert auf eine klimaverträgliche und ausgewogene Ernährung legen, liegt hier viel Potential.

 

Pariser Klimaabkommen

Das Klimaabkommen von Paris wurde 2015 von der Schweiz unterzeichnet, um den globalen Temperaturanstieg auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen und einen Wert von 1,5 Grad Celsius anzustreben. Eine höhere mittlere Erdtemperatur von 1,5 bis 2 Grad gilt als Grenze dessen, was der Mensch und die Umwelt noch einigermassen gut vertragen können. Die Schweiz hat sich verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu sein, indem sie Treibhausgasemissionen reduziert und ausgleicht.

 

Text: Simone Knittel
Foto: Christoph Kaminski