Montag, 27.11.2023

Bio-Cuisine im Tessin

Früher kochte Kira Ghidoni unter dem Schweizer Koch Anton Mosimann in London, heute führt sie mit drei Partnern die «Osteria Bisnona» in Contone TI. Im Gespräch erklärt sie, was ihr das «Bio Cuisine»-Label bedeutet und wieso bei ihr auch Gemüse im Dessert landet.

Seit dem 1. August hängt das «Bio Cuisine»-Schild in der Osteria Bisnona – damit übernehmen Sie eine Vorreiterrolle. Was bedeutet Ihnen das?

Es ist eine grosse Genugtuung und Anerkennung dafür, wie wir unseren Weg gehen. Mein Credo lautet: Weniger Quantität, mehr Qualität. Und zwar bei allem. Vielleicht geht man einmal weniger ins Restaurant, geniesst dafür aber die hausgemachten Speisen umso mehr, vom Brot bis zu den Saucen, von der Bouillon bis zur Pasta.

 

Das bedeutet, mehr zu bezahlen...

Hervorragende Qualität hat ihren Preis! Gute Produkte haben mehr Geschmack, sind länger haltbar, und es steckt mehr Zeit in der Herstellung und Veredlung.

 

Sie garantieren 30 bis 60 Prozent Bio-Zutaten. Wie berechnen Sie das?

Der Anteil Bioprodukte wird aus der Gesamtsumme des Einkaufs berechnet und muss bei mindestens 30 Prozent liegen. Bio sind bei uns beispielsweise Obst und Gemüse, Milchprodukte, Eier, Hühner- und Kaninchenfleisch, Honig, die meisten Weine. Inzwischen werden wir automatisch von Produzenten – oft auch von jungen Menschen – angegangen, die uns ihre Produkte zeigen wollen.

 

Zählte beim Erhalt des Labels der Wille der Küchenchefin oder die Nachfrage der Kunden mehr?

Ich glaube, dass wir einen Wandel brauchen. Es liegt in der Verantwortung aller, die regionale Wirtschaft zum Laufen zu bringen. Ich finde, dass wir während der Industrialisierung der Lebensmittel viel verloren haben. Ich erinnere mich daran, wie ich mit meinem Grossvater zum Forellenfischen ging oder wie er von der Jagd mit einem Hirsch oder einem Wildschwein zurückkehrte. Das hat mich geprägt. Heute bieten wir nur Schweizer Fisch und Fleisch an. Die Erlangung des Labels ergab sich wie von selbst, weil wir von Anfang an einen nachhaltigen Weg einschlagen wollten.

 

Ich habe gehört, dass Ihnen der Kontakt sowohl zu den Produzentinnen und Produzenten als auch zu den Kundinnen und Kunden am Herzen liegt.

Ja, sehr! Das ist auch der Grund, warum unser Team an einem Tag in der Woche gemeinsam in der Küche steht, und Nudeln, Gnocchi, Brot, Gemüse vor- und zubereitet. Auf diese Weise ist jeder und jede in der Lage, den Gästen das Gericht zu erklären, das serviert wird und unsere Botschaft zu vermitteln (ein Aspekt, der auf Tripadvisor mehrfach gelobt wird, Anm. der Redaktion).

 

Sie sind ausgebildete Köchin und Konditorin. Was haben Sie in Ihren Jahren in Australien, Neuseeland und schliesslich in London im Mosimann’s Club gelernt?

Die angelsächsischen Länder haben mich gelehrt, 12 bis 18 Stunden am Tag nonstop zu arbeiten, im Stehen zu essen wie ein Pferd und endlos ausgebeutet zu werden. Ein Knochenjob, aber wenn man 16 Stunden am Tag arbeitet, lernt man doppelt so viel. Heute aber, nach Covid, gibt es diesen Alltag kaum noch, das Personal läuft ja davon. Und ich bin nicht mehr so jung! Auch aus diesem Grund ist die Osteria von Mittwoch bis Samstag geöffnet. Und der Dienstag ist der Tag, an dem alle in der Küche arbeiten.

 

Welchen Platz räumen Sie heute den Desserts ein?

Ich kümmere mich um das Menü von A bis Z und möchte, dass der Gast ein umfassendes Erlebnis hat. Ich mag ausgewogene Desserts, bei denen das Süsse das Herzhafte nicht überdeckt. Deshalb enthält unsere Karte für den Abschluss des Essens auch Gemüse, wie Rande, die sehr vielseitig ist oder salzige Elemente, so wird es für mich zu einem runden Gang. Ich sehe, dass die Gäste das zu schätzen wissen – und wiederkommen.

 

Das Vertrauen der Kunden ist ein weiterer wichtiger Aspekt für Sie...

Wenn ein Gast wiederkommt, weil er sagt: «Bei euch ist alles gut, sogar die Innereien», dann haben wir es geschafft, Vertrauen aufzubauen, so dass er sich durch das ganze Menü führen lässt.

 

Bisnona ist der Name des Restaurants, benannt nach Ihrer Urgrossmutter. Was würde sie wohl zu ihrer Urenkelin Kira sagen?

Ich glaube, sie würde sich freuen! Ich habe erst spät herausgefunden, dass meine Familie von Metzgern und Gastronomen abstammt. Ich hatte das Glück, das tun zu können, was ich wollte, und ich habe mich für den Herd entschieden. Der Ruf nach Saisonalität, nach dem Land, nach der Handwerkskunst, die ich als Kind erlebt habe, ist mir geblieben. Deshalb habe ich die alten Rezepte in eine neue Form gebracht, denn ich glaube, um vorwärts zu gehen, muss man auch zurückblicken.

 

KIRA GHIDONI
Alter: 35
Bevorzugtes Bioprodukt: Alles, solange es Saison hat
Lieblingsgericht: Kartoffeln und Käse, Gnocchi
Hobbys: Brot backen, Nudeln herstellen, Wildkräuter pflücken, in die Berge gehen

 

Text: Natalia Ferroni
Foto: Alain Intraina, mad