Montag, 22.01.2024

Ambitionen und Herz

Koch-Weltmeister Christian Delgado Oliveira wollte nie etwas anderes sein als Koch. Für ihn ist die Arbeit am Herd weitaus mehr als Leute zu verköstigen. Er will Menschen zusammenbringen und sie glücklich machen.

Gegen die allmittägliche und allabendliche Hektik am Herd ist der städtische Feierabendverkehr ein lauschiges Plätzchen. Die Konzentration der Spitzenköchinnen und -köche grenzt an jene der Chirurginnen und Chirurgen und in der Hitze des Gefechts mit Pfannen und Töpfen, Kellen und Löffeln entwickeln sie auch noch ungeahnte Kreativität. Muss man ein bisschen verrückt sein, um sich das anzutun?

Also, einen verrückten Eindruck macht Christian – «nenn mich einfach Chris» – Delgado Oliveira definitiv nicht. Er wirkt eher ruhig, gar bescheiden. Dabei hat sich der junge Mann aus Münsingen BE bereits einen Namen gemacht. Er ist unter anderem mit der Schweizer Kochnationalmannschaft 2022 Weltmeister geworden und sagt: «Ich liebe alles am Kochen. Den Drive, wenn es hektisch zu und her geht, wenn alles gefordert wird und ich alles gebe. Wenn ich mich hundertprozentig auf meine Kolleginnen und Kollegen verlassen kann – das ist mein Leben.»

 

ALLES GELERNT
Angefangen hat dieses Leben als Sohn eines Kochs und Enkel einer Grossmutter, die schon den kleinen Christian in die Kunst der Zubereitung von Lebensmitteln eingeführt haben. «Ich lernte bereits als Kind, wie man Ziegenkäse macht oder ein Schaf schlachtet. Dafür bin ich meinen Eltern und auch meiner Grossmutter ewig dankbar.» Etwas anderes als eine Kochlehre kam für den «Berner Giel» nach diesen kindlichen Erfahrungen gar nicht in Frage. Dabei plante er seinen Weg an die Spitze offenbar sehr genau: «Ich wollte alles sehen, lernen und erleben, was mit der Küche und dem Leben als Koch zu tun hat», sagt er.

Nach der Lehre in einem Altersheim mit geregelten Arbeitszeiten und vorhersehbaren Menüs stürzte er sich in die Hektik eines A-la-carte-Betriebs: «Ich wusste, dass ich mich nach dem Altersheim an den Stress gewöhnen und an Schnelligkeit zulegen musste.» Der nächste Schritt war das Bellevue Palace in Bern und in diesem Spitzenbetrieb wurde Oliveira mit dem Bankett-Betrieb und dem Fine-Dining vertraut. Nach weiteren Top-Adressen in Bern – etwa dem Restaurant Schöngrün und ersten nationalen und internationalen Kochwettbewerben – kam das Aufgebot für die Nationalmannschaft. «Für mich war das nicht nur eine grosse Ehre. Es war auch die Möglichkeit, der Schweiz Danke zu sagen, die mir das alles ermöglicht hat», sagt der Könner mit Wurzeln in Portugal.

 

ALLES GEBEN
Wie gut muss man sein, damit man für die Schweiz am Kochherd stehen darf? «Ich glaube nicht, dass die Nati-Köchinnen und -Köche sehr viel besser sind oder mehr können als andere. Was uns aber auszeichnet, ist die vollständige Hingabe an den Beruf. Der Wille, mehr zu geben. Das Kochen über alles zu stellen. Ohne Rücksicht auf Arbeitsstunden, Müdigkeit oder Privatleben.»

Der junge Berner fühlt sich sehr privilegiert. «Wir bekommen die besten Lebensmittel auf den Tisch. Und die dürfen wir mit unserem Können veredeln. Dabei geht es nicht nur ums Kochen, sondern um viel mehr. Köche sind wie Künstler. Der Teller ist die Leinwand», erklärt er. «Kochen bedeutet auch, Menschen an einem Tisch zusammenbringen, sie glücklich zu machen oder ihnen ein Lächeln auf die Gesichter zu zaubern. Wenn das geschieht, dann ist das für mich eine Riesenbefriedigung, eine Art Gesamtkunstwerk.»

Christian Delgado Oliveiras Beruf ist Berufung. Anders kann man nicht erklären, dass er gleichzeitig die Hotelfachschule in Thun BE besucht, das Geld für sein Studium mit Einsätzen in Berner Gourmet-Lokalen verdient und auch noch Geschäftsleiter der Pop-up-Bar Maison in der Hauptstadt ist. Doch er hat auch einen Traum: Der spielt in der alten und der neuen Heimat, in Lissabon und in Bern, und handelt davon, an beiden Orten Gastgeber zu sein, Menschen an beiden Orten glücklich zu machen. Noch ist es ein Traum. Aber wer Christian Delgado Oliveira kennt, zweifelt nicht daran, dass er Wirklichkeit werden kann.

 

CHRISTIAN DELGADO OLIVEIRA
Alter: 29
Lieblingsessen: Apfelrösti vom Grosi
Wichtigste Lektüre: Eleven Madison Park von Daniel Humm
Vorbild: Andreas Caminada. Er zeigt jungen Köchen einen Weg in die Zukunft des Metiers.
Traumort: Lissabon
Jüngster Erfolg: Rang vier bei «Les Chefs en Or» 2023 in Warschau.

 

Text: Franz Bamert
Foto: Stöh Grünig