Montag, 26.02.2024

Nichts wird vergeudet

Lebensmittel wegwerfen? Geht gar nicht, findet Andrea Troxler. Und so hauchen die Top-Chefin und ihr Team in der Markthalle im Sous-sol des Bahnhofs Luzern Produkten ein zweites Leben ein, die sich dem Ablaufdatum nähern. Mit grossem Erfolg.

Gault Millau nannte Sie vor ein paar Monaten «Top-Chefin». Was hat das in Ihnen ausgelöst?

Es hat mich sehr berührt und gefreut. Dies hat mich in meiner Mission bestätigt und motiviert, auch zukünftig nachhaltige und geschmacklich spannende Kreationen zu zaubern.

 

Sie haben bereits in sehr renommierten Restaurants gearbeitet. Wie hat es Sie in den Untergrund des Bahnhofs Luzern verschlagen?

Ich hatte schon seit längerer Zeit das Bedürfnis, über meinen Tellerrand hinauszuschauen und neben der À-la-carte-Küche etwas Neues zu lernen. Mit der Markthalle Luzern habe ich gefunden, was ich gesucht hatte.

 

Eine Köchin mitsamt Team in einer Markthalle ist schon sehr ungewöhnlich. Wie kam das?

Da die Qualitätsansprüche der Kundschaft an die Produkte sehr hoch sind und zudem die Haltbarkeitsdaten oft zu kurz deklariert werden, wandern täglich massenhaft Produkte im Detailhandel in den Müll, obschon sie eigentlich noch zum Verzehr geeignet sind. Bei uns in der Markthalle wurde die Vermeidung von Food Waste von Anfang an grossgeschrieben. Unsere Aufgabe in der Küche ist es, Produkte, die nicht verkauft werden, frühzeitig aus dem Regal zu nehmen, zu veredeln und in einer neuen, attraktiven Form zurück an die Kundinnen und Kunden zu bringen. Aus überschüssiger Milch stellen wir Milch-Caramel her, aus nicht verkauften Kürbissen Konfi und Chutney, Rüstabfälle werden zu hausgemachtem Bouillonpulver weiterverarbeitet.

 

Wie muss man sich das vorstellen?

In unserer Küche planen wir immer sehr kurzfristig, auch das tägliche To-go-Mittagsmenü wird erst am Morgen veröffentlicht. Ausserdem haben wir wenig Standardrezepte. Dies lässt uns viel Freiraum und Flexibilität, damit wir erhaltene Ware schnell verarbeiten können. Es setzt aber auch ein starkes, motiviertes und eingespieltes Team voraus. Wenn wir beispielsweise von unserem Markthallen-Metzger Rinderbrust bekommen, wird am folgenden Tag Brisket für Reuben-Sandwiches produziert. Gibt es Hackfleisch, bieten wir Ghackets mit Hörnli als Mittagsmenü an. Auch von der Gemüseauslage geht einiges in die Küche. Es kam schon vor, dass 60 Kilo Stangensellerie in der Küche gelandet sind. Nach der Überraschung über diese riesige Menge, haben wir uns auf die Herausforderung gefreut und im Team kreative Lösungen diskutiert. Wir haben den Stangensellerie schlussendlich eingesalzen, getrocknet und daraus ein würziges Selleriesalz produziert. In der Markthallen-Küche weiss man nie, was auf einen zukommt. Es ist aber stets abwechslungsreich und kreativ.

 

Der Erfolg gibt Ihnen recht, denn die Kundinnen und Kunden reissen sich um Ihre Kreationen…

Die Reaktionen der Kundinnen und Kunden freuen mich sehr. Es ist immer wunderschön zu sehen, ob und wie unsere Kreationen Anklang finden. Da wir direkt in der Markthalle produzieren, sind wir in stetem Austausch mit unseren Kundinnen und Kunden. Dies motiviert mich jeden Tag aufs Neue.

 

Weshalb ist Ihnen die Vermeidung von Food Waste ein derartiges Anliegen?

Ich bin in Nebikon LU aufgewachsen, am Waldrand, in einem Haus mit grossem Garten, Hühner und Hasen. So habe ich schon sehr früh gelernt, wie viel Aufwand und Energie es braucht, bis aus einem Samen ein Kopfsalat wächst oder die Hühner gepflegt und umsorgt sind. Auf den Tisch kam, was Saison hatte, und die Natur hergab. Darum ist es mir ein persönliches Anliegen, dass Lebensmittel ihren Wert erhalten und nicht achtlos weggeworfen werden. Auch wenn ein Rüebli krumm oder der Geissenquark abgelaufen ist, heisst dies noch lange nicht, dass man sie wegwerfen sollte. Durch meine mehrjährige Erfahrung in der Spitzengastronomie habe ich miterlebt, wie viele Lebensmittel in gewissen Restaurants im Müll enden. Dies ist aber nicht nur ein Problem der Spitzengastronomie, sondern auch in Privathaushalten oder dem Detailhandel. Meine Erfahrungen und mein persönliches Ziel, allen Lebensmitteln einen angemessenen Wert zu geben, ist meine Motivation, Food Waste zu vermeiden und unsere Kundschaft glücklich zu machen. Aber ich erhoffe mir auch, dass wir die Leute sensibilisieren und ihnen kreative Wege und Ideen aufzeigen können, wie man Lebensmittelreste verwerten kann.

 

ANDREA TROXLER
Alter: 30
Liebstes Restemenü: Fotzelschnitte mit Apfelkompott
Liebstes Nicht-Restemenü: Hauptsache lecker und saisonal
Hobbys: Reiten, Reisen, mit feinem Essen und gutem Wein Zeit mit meinen Freunden geniessen

 

Text: Susanne Stettler
Foto: Mischa Christen