Montag, 28.04.2025
Künstliche Intelligenz
Man kann sich kaum ein analogeres Handwerk vorstellen als Weinmachen. Seit Jahrtausenden führen Menschen dieselben Handgriffe aus, um Trauben in Wein zu verwandeln. Was könnte Künstliche Intelligenz (KI) diesen uralten Kulturtechniken noch hinzufügen? Wie sich herausstellt, eine ganze Menge. Weinbau ist ein hochkomplexer Prozess mit zahlreichen Variablen. Bodenbeschaffenheit, Wetterbedingungen, Schädlinge, Krankheiten – sie alle haben Einfluss auf das Produkt. Traditionell trafen Winzerinnen und Winzer ihre Entscheidungen im Rebberg und im Keller auf Grundlage jahrelanger Erfahrung und der intensiven Beobachtung der Natur. Doch mit der Einführung von KI-basierten Systemen verlagert sich der Fokus mehr und mehr auf datengestützte Entscheidungen.
DER WEINBERG DER ZUKUNFT
Zum jetzigen Zeitpunkt wird Künstliche Intelligenz vor allem in der präzisen Überwachung der Reben eingesetzt. Sensoren in den Weinbergen oder Drohnen sammeln kontinuierlich Daten zu Feuchtigkeit, Temperatur, Schädlingsbefall und anderen relevanten Parametern. Das kanadische Unternehmen VineView etwa setzt Drohnen mit bildgebenden Verfahren ein, die es erlauben, den Zustand jeder Parzelle, ja sogar einzelner Stöcke zu diagnostizieren. In Spanien entwickelte die Polytechnische Universität von Valencia einen Roboter namens VineScout, der dieselbe Funktion erfüllt. Diese Daten werden von KI-Algorithmen analysiert, die daraus Empfehlungen für die optimale Bewässerung, Düngung und Schädlingsbekämpfung ableiten. Die Vorteile dieses sogenannten Präzisionsweinbaus liegt auf der Hand: Die Erntequalität steigt, Ressourcen werden optimiert und der zielsichere Einsatz von Wasser, Dünger und Pestiziden schont die Umwelt. Zum Teil können die erforderlichen Handlungen – etwa eine punktgenaue Tröpfchenbewässerung – sogar auch direkt von autonomen Systemen ausgeführt werden.
3D-BRILLE FÜR DEN REBSCHNITT
Noch ein Beispiel für das mögliche Miteinander von KI und Mensch ist der Rebschnitt. Er zählt zu den arbeitsintensivsten Aufgaben des Winzers. Dafür müssen Rebarbeiterinnen und Rebarbeiter ausgebildet werden – oder virtuelle Unterstützung haben. Das Start-up 3D2cut, hervorgegangen aus dem Beratungsunternehmen Simonit & Sirch, welches Spitzenweingüter weltweit in Sachen Rebschnitt unterstützt, stellte jüngst den Prototypen einer 3D-Brille vor, die es selbst ungelernten Hilfskräften erlaubt, wie ein Profi zu schneiden. In weniger als einer Sekunde wird auf dem integrierten Display die Stelle markiert, an welcher der Stock geschnitten werden soll.
BESSERE GÄRUNG DANK KI
Im Keller verspricht KI ebenfalls eine kleine Revolution. In Japan beschäftigen sich Forschende mit dem Einsatz von KI während der Gärung. Die KI analysiert die Morphologie der Hefezellen und leitet daraus Empfehlungen für die Gärsteuerung ab. So können beispielsweise die Alkoholausbeute optimiert oder Gärstockungen vermieden werden. Braucht es in Zukunft also gar keinen Menschen mehr? Ganz so weit wollen wir dann doch nicht gehen. Denn eine KI kann zwar Entscheidungen treffen, doch Geschmack hat sie bislang noch nicht.
Und in der Schweiz?
Einer, der Erfahrung mit neuer Technologie an der Grenze zur KI hat, ist Fabio Negri (40), Technischer Direktor der Cave du Tunnel in Conthey VS. «Wir haben beispielsweise Sonden, die 50 bis 60 Zentimeter tief in den Boden reichen und uns alle zehn Zentimeter Aufschluss über die Bodenfeuchtigkeit geben. Das erlaubt uns, die Bewässerung gezielt anzupassen.» Auch denkt das Weingut darüber nach, in der Zukunft eventuell mit einer Firma zusammenzuarbeiten, die mittels Drohnen den Zustand der Rebberge kartographiert. «So können wir Kompost genau dort ausbringen, wo er benötigt wird.» In Zukunft könnten die grossen Datenmengen, die der Betrieb sammelt, auch KI-basierte Systeme füttern, die zum Beispiel das Wassermanagement selbständig steuern. Die KI könnte den Erntezeitpunkt der Trauben so bestimmen, dass ein Wein mit genau dem gewünschten Geschmacksprofil entsteht. Doch das geht Fabio Negri ein wenig zu weit. «Wir möchten, dass unsere Weine mit minimaler Intervention ihren Jahrgang, ihre Rebsorte und ihr Terroir ausdrücken. Wein ist Handwerk, aber auch Kunst. Technologie ist hilfreich, doch sie ersetzt nicht die Intuition des Menschen.»
Text: Britta Wiegelmann
Foto: Adobe Stock, Cahoro