Montag, 10.06.2024

Mister Gault-Millau

Urs Heller, der oberste Gastrokritiker der Schweiz, besucht 100 Lokale pro Jahr, um dann im Gastroführer und auf dem Internet-Channel von Gault-Millau sein Urteil zu fällen. Er erklärt, was ein gutes Restaurant ausmacht und welche Unverschämtheiten sich die Gäste erlauben.

Vom Restaurantkritiker der «New York Times» hängt in jeder Küche ein Foto. Wie ist das bei Ihnen?
Ich habe tatsächlich in der einen oder anderen Küche auch schon ein Foto von mir hängen sehen.

Dann müssen Sie mit Schnauz und Perücke testen gehen, damit man Sie nicht erkennt?
Die Testesser von Gault-Millau sind inkognito unterwegs. Mich kennt man, und das ist nach 30 Jahren ja auch kein Wunder. Ich glaube nicht, dass einer besser kocht, nur weil ich im Restaurant sitze. Ein Küchenchef oder eine Küchenchefin kann kochen, oder kann es nicht.

«Ich nehme meist das, was mir das Haus empfiehlt.»

Was bestellen Sie beim Testen?
Ich nehme meist das, was mir das Haus empfiehlt. In der Regel handelt es sich um ein Gericht mit saisonalen Zutaten. Meine Begleitung bestellt à la Carte, so haben wir einen guten Querschnitt, um über das Restaurant urteilen zu können.

Wie kommen Sie zum Testresultat?
Es gibt ein Handbuch mit genauen Kriterien, was zu beurteilen ist. Das Essen kann zu kalt sein, zu warm, zu salzig, zu süss und einiges mehr. Das bedeutet aber nicht, dass wir mit einer Excel-Tabelle am Tisch sitzen und diese Punkt für Punkt abhaken. Entscheidend ist, dass in der Restaurantkritik steht, was einen in einem Lokal auf dem Teller erwartet und weshalb es gut schmeckt. Beim Gault-Millau gibt es nicht nur Punkte, sondern einen ausführlichen Text, der die Bewertung erklärt.

Was sagen Sie zur Kritik, dass der Test nur eine subjektive Momentaufnahme abbilde?
Selbstverständlich ist unser Urteil zum Teil subjektiv. Aber ich glaube, dass die Köchinnen und Köche unsere Einschätzung akzeptieren und unsere Arbeit schätzen. Natürlich gibt es zwischendurch auch mal Ärger, aber der ist in der Summe verkraftbar. Es sind vielleicht fünf von 850 getesteten Restaurants, die nachher ihren Unmut äussern. Und auch da kann man das meist in einem persönlichen Gespräch klären.

Kann sich die Köchin oder der Koch darauf berufen, einen schlechten Tag gehabt zu haben?
Leider nein. Das ist wie beim 100-Meter-Final an den Olympischen Spielen. Da gibt es auch keine Ausreden. Eine gute Köchin oder Koch muss konstant gute Leistungen bringen. Es kann natürlich sein, dass der Sous-Chef krank ist oder es sonst gerade gravierende private Probleme gibt. Wenn wir so etwas mitbekommen, gehen wir vielleicht nochmals vorbei. Aber das sind Ausnahmen. Eigentlich sind wir schon stolz, dass wir es schaffen, alle Restaurants in unserem Führer einmal pro Jahr zu besuchen. Diesen Aufwand leistet sich kein anderer Gastroführer. Unsere nebenamtlichen Tester erhalten 300 Franken pro Besuch. Bei 1000 Restaurants, die wir testen, sind das dann 300 000 Franken.

Was ist entscheidend, dass ein Restaurant eine gute Bewertung erhält?
Das Essen. Der Rest hat auch einen Einfluss, aber einen geringeren. Wenn ich bei einem Restaurant zwischen 14 und 15 schwanke, dann kann das Drumherum den Ausschlag geben. Mehr aber nicht.

Aber wenn ein Teller auf den Tisch geknallt wird, dann schmeckt auch das beste Essen nicht mehr.
Wenn das Servicepersonal arrogant auftritt, ist das ein No-Go. Aber im Moment gelten bei Fehlern im Service mildernde Umstände. Wir haben Fachkräftemangel, da kann nicht immer alles perfekt sein.

Wozu raten Sie?
Dass man schon beim Reservieren klärt, was möglich ist. Gibt es vegane Gerichte? Der Zusatzaufwand dafür ist enorm, nicht jedes Restaurant kann oder will sich das leisten. Ein «No-Show» geht auch nicht: also zu reservieren, aber dann nicht aufzukreuzen. Man muss sich bewusst sein, was das für ein Restaurant bedeutet: Wenn von sechs Tischen einer unbesetzt bleibt, dann kann das Ganze bereits ins Minus kippen.

Sie nannten Arroganz als No-Go der Restaurants. Was geht auch nicht?
Lügen. Also einen frischen Krebs aus Mazara del Vallo anpreisen und dann kommt ein billiges Tiefkühlprodukt auf den Tisch. Und die Hygiene muss immer stimmen. Da darf es keinen Kompromiss geben.

«Arroganz ist ein No-Go»

Was kommt Ihnen nicht auf den Teller?
Als kleines Kind erlitt ich eine Lebensmittelvergiftung mit Tomaten. Wenn mal eine auf meinen Teller rutscht, ist es zwar nicht so schlimm, aber sonst kann ich gerne darauf verzichten.

Urs Heller (71) war beim Medienunternehmen Ringier erst Chefredaktor in verschiedenen Redaktionen, später wurde er Leiter der Zeitschriften. Heute ist er Chefredaktor des Schweizer Gault-Millau-Ablegers.

Text: Andreas W. Schmid
Foto: Heiner H. Schmitt