Montag, 16.06.2025

Auf dem Boden gebliebenes Koch-Genie

Er gilt als «Roger Federer der Kochkunst»: der Bündner Drei-Sterne-Koch Andreas Caminada. Auf seinem Genuss-Schloss Schauenstein in Fürstenau GR Erschliesst sich einem, warum der umtriebige Gastro-Superstar eine so grosse Fangemeinde hat.

Andreas Caminada, dürften wir bitte Ihr Koch-Zertifikat sehen?
Meint ihr den eidgenössischen Fachausweis? Den habe ich sogar noch ... (Lange Pause.) Ach, jetzt versteh ich: Sie kopieren Comedian Teddy Teclebrhan, der mich in der Serie «Dinner Club» auch immer danach fragt! (Lacht.)

Wie eitel ist man als «Schweizer Gastro-Superstar»?
Ich habe überhaupt nicht das Gefühl, ich sei der Gastro-Superstar. Wir haben hier auf Schloss Schauenstein unser Restaurant, leben unseren Traum und haben auch noch Spass dabei. Es gibt viele Möglichkeiten zu kochen, und ich mache es eben auf meine Art. Das ist eine persönliche Geschichte und die Leute beurteilen, ob sie ein Essen gut finden oder nicht. Diejenigen, die zu uns kommen, freuen sich, in unsere Welt einzutauchen.

Das klingt jetzt arg bescheiden ...
Meine Meinung ist, dass es nie einen Besten geben kann, weil die Bewertung im-mer nur ein Gefühl ist. Das ist bei Designfragen auch so: Manchmal gefällt dir etwas, manchmal weniger. Aber na- türlich geht es auch um Qualität, und wir versuchen stets auf allerhöchstem Niveau zu arbeiten. Unser Ansporn ist jedoch nicht, dass es allen gefällt. Wir möchten die Leute ansprechen, die spüren und wertschätzen, was wir machen.

Wie reagieren Sie auf negative Kommentare im Internet?
Da wir sehr viele tolle Gäste haben, sind wir bisher diesbezüglich relativ verschont geblieben. Die Preise wurden immer mal wieder zum Thema. Aber ich bin jetzt schon über 20 Jahre selbstständig und weiss, dass das halt auch dazu gehört.

Gehen Sie auf Rückmeldungen ein?
Bei berechtigter Kritik schon. Vielleicht lässt sich dann auch wieder etwas gutmachen, und wir können daraus lernen, etwas noch besser zu machen. Wir sind ganz sicher nicht unfehlbar.

Sie haben sich ein unfehlbar wirkendes Image erworben. Hilft eine Kochsendung wie «Dinner Club», die nun auf Prime Video läuft, Ihnen als Mensch näherzukommen?
Ich weiss gar nicht so recht, was die Menschen generell über mich denken. Aber mir fällt schon auf, dass Leute, wenn sie mich kennenlernen, sagen, wie überraschend easy-going ich sei. Vielleicht liegt es an meinen zurückgegelten Haaren, dass die Leute denken, ich sei so ein «geschleckter Siech»?

«Wir leben unseren Traum und haben Spass dabei.»

Wer verbirgt sich denn hinter diesem «geschleckten Siech»?
Ein ganz normaler Mensch, leidenschaftlicher Koch und ein hoffentlich guter Ehemann und Vater. Ich stamme von hier und bin hier in Graubünden verwurzelt, was mich auch auf dem Boden hält. Ich möchte den Menschen, die zu uns kommen, einfach ein guter Gastgeber sein. Da trage ich gerne auch mal die Koffer in die Zimmer. Die Leute sehen mich vielleicht in einer Kochsendung oder in einem Magazin und denken dann: Oh, der wirkt aber arrogant. Oder es liegt daran, dass ich mir etwas erschaffen habe, was einen gewissen Respekt abverlangt.

Dann ist es nicht hilfreich, wenn ein Tim Mälzer auch noch gegen Sie stichelt?
(Lacht und winkt ab.) Ach, wir Köche ziehen uns gerne gegenseitig etwas auf!

Bei Ihnen in Fürstenau wird man ehrfürchtig. Sie haben sich ein richtiges Kulinarik-Dörfchen erschaffen, samt Schloss, Neben- gebäuden, Bäckerei, Kaffee- rösterei und einer Länderei, auf der Sie Gemüse-Raritäten anbauen …
Und genau das nervt dann einen Tim Mälzer! (Lacht.) Nein, Tim hat ja auch eine krasse Entwicklung hingelegt und es in seiner Branche auf den höchsten Punkt gebracht. Vor rund zwölf Jahren haben wir hier den Trailer für sein TV-Erfolgsformat «Kitchen Impossible» (Anmerkung der Redaktion: läuft auf dem deutschen Sender Vox) gedreht, und da waren auch wir noch nicht da, wo wir heute sind. Ich finde es einfach schön zu sehen, dass, wenn man seinem Commitment treu und an etwas dranbleibt, etwas richtig Grosses entstehen kann.

Wie spürbar ist der Druck, dieses «Grosse» zu bewahren?
Der Druck ist da, aber ich mache das ja alles nicht allein. Das ist kein Einzelsport, sondern ein Team-Geschäft. Besonders wichtig ist es, dass immer wieder motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinzukommen, die wir auf diese Reise mitnehmen können. Die bilden wir hier dann so gut aus, dass wir das Niveau halten können. Der Erfolg ist abhängig von ganz vielen Leuten, die Freude daran haben, was wir hier machen. Am Schluss musst du schauen, dass du mit einem guten Gefühl nach Hause gehen und schlafen kannst.

Sie beschreiben Ihre Küche so: «Der Geschmack der Bündner Berge – gewürzt mit viel Neugier und einer Prise Fernweh.» Nach was haben Sie Fernweh?
Mit der neuen Serie «Dinner Club» waren wir in verschiedenen Ländern, haben viel gesehen, probiert und entdeckt. Solche «Werkzeuge» zwingen uns, in die Welt rauszugehen. Das ist inspirierend, und wenn ich nur hier wäre, würde ich schon hie und da etwas «versuurä». Ich bin jemand, der extrem viel Energie hat und Veränderung, neue Impulse braucht. Wir hatten gerade unser 20-jähriges Schauenstein-Jubiläum und haben uns neu eingerichtet. Ich bin Ästhet, muss immer wieder etwas verändern. Und Veränderungen helfen, auf ein nächstes Level zu kommen.

In «Dinner Club» wird nicht gegen-, sondern miteinander gekocht. Glauben Sie, es war nach all den raubeinigen Küchen-Battle-Formaten Zeit für eine Kochsendung voller «Friede, Freude, Eierkuchen»?
Ich denke, dass in dieser angespannten Zeit so ein Wohlfühlprogramm guttut. Und ja, ich denke, es hat Platz für dieses Format, weil es hoffentlich die Zuschauer dazu animiert, mitzureisen, zu schwelgen und zu geniessen.

Wie sahen Ihre Anfänge aus?
In den ersten fünf Jahren war ich von frühmorgens bis zwei Uhr nachts im Schloss auf den Beinen. Wir waren damals zu zweit in der Küche, und mein Vater hat beim Abwasch ausgeholfen. Aber wir hatten Spass daran, etwas Eigenes aufzubauen, uns auszuleben und entscheiden zu können, was auf den Teller kommt. Zu Beginn brauchte es einen besonderen Einsatz für den Aufbau, bis sich Konstanz und Kontinuität eingestellt haben. Den Einsatz braucht es noch immer, dazu halten uns neue Projekte auf Trab.

Immer etwas mehr machen als die anderen – Ihr Erfolgsgeheimnis?
Ich habe immer extrem viel gearbeitet und tue es noch immer. Wenn man etwas erreichen will, muss man viel Fleiss, Kraft und Energie hineinstecken.

Wann kommen Sie zur Ruhe?
Heute kann ich die Beine hochlegen, wenn wir Ferien haben. Das war in der Aufbauphase anders. Irgendwann wusste ich, dass es mit dem Durcharbeiten so nicht weitergehen kann. Wir machten dann den Betrieb auch mal ein paar Wochen zu. Das hat gut funktioniert, diese Auszeiten haben sich bewährt.

Sie selbst stehen heute aber nicht mehr täglich in der Küche?
Ich bin täglich im Betrieb, in Fürstenau trifft man mich in der Regel an. Von hier aus betreue ich alle Projekte und kreiere zusammen mit meinem Küchenchef und Mitinhaber Marcel Skibba die Menüs. Praktisch ist, dass ich vis-à-vis wohne.

Gab es auch mal Rückschläge?
Natürlich. Es gab immer mal wieder Projekte, die nicht so gelaufen sind, wie wir wollten. Dann muss man etwas umdenken und Anpassungen machen. Es ist nie alles gleich 100 Prozent perfekt, man muss immer optimieren. So funktionierten etwa unsere Mittagessen im Restaurant Igniv in Zürich zuerst nicht wie gewünscht. Oder unser Caminada-Magazin: Das brachten wir zu Beginn im Eigenverlag heraus, was keine gute Idee war. Da wickelten wir den ganzen Versand ab, hievten fünf Paletten an Magazinen hier ins Schloss, etikettierten die ganze Nacht durch und standen am Morgen trotzdem wieder ganz normal in der Küche. Es war der Horror. Aber Hauptsache, man macht einfach mal. Da haben wir viel gelernt. Heute haben wir das ausgelagert und ich steuere meine Ideen hinzu. Etiketten kleben muss ich jedoch nicht mehr ... (Lacht.)

Kommen wir nochmals auf Ihre Gäste zu sprechen: Haben die sich in ihrem Verhalten verändert?
Da muss ich vorausschicken, dass wir da in einer privilegierten Lage sind. Wir sind kein Stadtrestaurant, in dem es vor allem um Tempo geht. Unsere Gäste wissen, worauf sie sich hier einlassen, sie freuen sich darauf und kommen schon gutgelaunt an. Das hilft natürlich.

Trotzdem mussten Sie eine No- Show-Gebühr einführen. Weshalb?
Wir können nur 30 Gäste empfangen und für diese arbeiten 45 Personen. Da können wir es uns nicht erlauben, dass ein Tisch plötzlich nicht belegt ist. Dass Gäste kurz vorher absagen, gab es früher so nicht. Da hat sich etwas geändert.

Man möchte sich bis zuletzt alle Optionen offen halten ...
Akzeptieren können wir das trotzdem nicht. Wenn Sie einen Flug nach London gebucht haben, können Sie den auch nicht einfach absagen. Sie bezahlen eine Gebühr oder gleich den Flug. Wir bemühen uns um jeden Gast und bereiten alles bis ins letzte Detail vor. Einfach nicht zu erscheinen, muss seinen Preis haben.

Sie haben grosse Namen hervorgebracht. Was ist Ihr Rezept dieser geglückten Nachwuchsförderung?
Das gibt es nicht. Vielleicht hat es damit zu tun, dass wir nun schon seit 21 Jahren da sind. Und weil wir eine gewisse Flughöhe erreicht haben, wollen viele besonders motivierte Talente zu uns kommen. Die bleiben dann nicht nur zwei, drei Monate, sondern zwei, drei Jahre und atmen den Spirit ein, der hier herrscht, wie dynamisch wir sind und dass es halt dazu gehört, mal selber den Besen in die Hand zu nehmen. Wir geben ihnen Verantwortung und nehmen sie auf unserem Weg mit. Wir zeigen ihnen, dass auch das kleinste Detail wichtig ist.

Worauf achten Sie, wenn sich ein Jungkoch bei Ihnen bewirbt?
Auf das Bauchgefühl. Es ist nicht wichtig, dass jemand viel Erfahrung hat. Im Gegenteil. Wenn ein Bewerber schon bei fünf tollen Betrieben war, weiss ich gar nicht, ob er wirklich noch interessant ist für uns. Wir wollen niemanden, der kommt und dann schon bald wieder geht.

So haben Sie auch eine Stiftung für angehende Köchinnen, Köche und Servicefachkräfte lanciert ...
Wir dachten uns, dass wir etwas zurückgeben müssen. Und wenn wir es nicht machen, macht es niemand. Wir reden nicht, wir sind Macher. So haben wir 2015 die «Fundaziun Uccelin» gegründet. «Uccelin» bedeutet auf Rätoromanisch «Vögelchen». Und wie kleine Vögel, die flügge geworden sind, sollen die Absolventinnen und Absolventen unseres Förderprogramms die Welt erkunden können. Sie haben die Möglichkeit, in einem fünfmonatigen Weiterbildungsprogramm für jeweils einige Wochen bei Partnerproduzenten und Restaurants auf der gesamten Welt reinzuschnuppern.

Wo stehen wir gastronomisch in zehn Jahren?
Lokale Produkte werden noch wichtiger werden, und ich glaube, dass es in Zukunft immer mehr Spezialitätenrestaurants geben wird. Dass die Gäste also gezielt in ein Steakhouse oder vegetarisch essen gehen, wenn ihnen danach ist. Ich denke, dass Gäste bewusster essen und die Vision der Gastgeber spüren wollen. Man spürt, wer mit Herzblut kocht, und dies wird sicherlich auch in Zukunft begeistern.

Nutzen Sie künstliche Intelligenz in der Küche?
So weit sind wir noch nicht. Wir sind mit so vielen anderen Projekten beschäftigt, dass wir noch gar nicht dazu gekommen sind, uns richtig mit KI auseinanderzusetzen.

Wir haben KI nach einem typischen Caminada-Gericht gefragt. Was, glauben Sie, kam dabei heraus?
Irgendetwas sehr Produkteorientiertes, geschmacklich Intensives und natürlich etwas, das sehr ästhetisch ausschaut?

Die KI schlug «Kümmelkruste mit Perlhuhn, Sellerie und Apfel» vor.
Da hat der künstliche Koch aber ein altes Gericht von mir hervorgekramt. Ich glaube, ein Update würde ihm guttun. Er soll doch mal vorbeischauen. (Lacht.)

 

MANN IM KOCH-OLYMP
Andreas Caminada (48) aus Ilanz GR ist gelernter Koch und Patissier. Seit 15 Jahren kränzen drei Michelin-Sterne, der grüne Michelin-Stern und 19 Gault-Millau-Punkte sein Restaurant und Hotel Schloss Schauenstein in Fürstenau GR. Das Schloss, 2022 erworben, wird zudem auf den Listen der weltweit besten Restaurants geführt. Die Caminada AG führt heute sieben Spitzenrestaurants, davon sechs in der Schweiz und eines in Bangkok (Thailand), und beschäftigt rund 200 Mitarbeitende. Caminada lebt mit seiner Frau und Geschäftspartnerin Sarah sowie den beiden Söhnen in Fürstenau.

 

Text: Kristina A. Köhler und Andreas W. Schmid
Foto: Joël Hunn