Montag, 25.08.2025

Ein Hoch auf das Brot

Rudolf Kohler ist Brotsommelier in der Coop-Entwicklungsbäckerei in Schafisheim AG. Er zeigt, wie man ein Brot professionell beurteilt.

Der erste Schritt einer «Genussbeurteilung» von Brot ist ein intuitiver. Rudolf Kohler (44) greift zum Messer – in die stählerne Klinge ist sein Name eingraviert – setzt es auf der rauchigbraunen Kruste des Brotlaibs an und hört genau hin. Die Klinge bricht knisternd durch die Oberfläche und dann fast lautlos durch die Krume. «Perfekt», zieht der Brotsommelier seine Bilanz. Rudolf Kohler ist seit neun Jahren Produktentwickler in der Entwicklungsbäckerei von Coop in Schafisheim AG. Er hat unter anderem das Maggia-Brot entwickelt, das jetzt vor ihm liegt. Eine Spezialität von Kohler und seinem Team sind Holzofenbrote. Ein besonderes Anliegen ist ihm der Einsatz von Voroder Sauerteigen. «Die Produkte werden damit aromatischer und bekömmlicher.» Und nach all den Jahren sagt er immer noch: «Nichts riecht besser als frisches Brot.» Dabei kam Rudolf Kohler eigentlich per Zufall zum Brot. Zuerst wollte er eine Lehre bei der Bahn machen, doch nach der Schnupperlehre beim Bäckerbetrieb in Zürich Schwamendingen entschied er sich um. Danach wurde Kohler Lebensmitteltechnologe, und seit November 2023 trägt er noch einen weiteren Titel: Er hat sich an der Akademie für deutsches Bäckerhandwerk in Weinheim (DE) zum Brotsommelier ausbilden lassen.

TAKTILE UND OPTISCHE BEURTEILUNG
Der nächste Schritt, um ein Brot professionell zu beurteilen, ist taktil und optisch: Kohler drückt seinen Daumen in die Krume. Er ist zufrieden mit dem eigenen Werk: Das Brot springt zurück in Form, die Elastizität passt. Das bedeutet, dass die Flüssigkeit gut gebunden wurde. Zur Farbe sagt er: «Die Krume ist beige mit Gelbstich, die Kruste rehbraun bis schokoladenbraun, an manchen Stellen etwas abgeflämmt. Für den Verkauf wäre es fast zu dunkel. Ich mag es so.» Was Kohler hier zu Demonstrationszwecken macht, war Teil seines Wegs zum Brotsommelier. «An der Abschlussprüfung musste ich live vor einer Jury in 30 Minuten sechs mir vorher unbekannte Brote beurteilen.» Das Messer mit seinem eingravierten Namen war ein Glücksbringer dafür, ein Geschenk seines besten Freundes. Der dritte Schritt der Beurteilung ist, sich ein Stück Brot hemmungslos ins Gesicht zu drücken, fast so, als würde man es als Taschentuch benutzen wollen. Seine Frau schäme sich jeweils ein wenig, wenn er das im Restaurant mache, gesteht Kohler. Er atmet mit dem Brot vor seiner Nase tief ein und gibt ein wohliges Grummeln von sich, bevor er sagt: «Getreidig, malzig, mit mild fruchtiger und gut wahrnehmbarer Fermentationsnote.» In seinem Arbeitsalltag als Brotentwickler nutzt Kohler sein Wissen aus der Sommelier-Ausbildung. Pro Gebäck stehen dem Brot-Experten wenige Wochen bis zu einem halben Jahr zur Verfügung. Meistens sei ihm das zu wenig. «Ich könnte ewig weitertüfteln.» Ein Teil von ihm träume davon, eines Tages eine kleine Brot-Boutique mit Ultra-High-End-Produkten zu schmeissen. Der andere Teil ist stolz auf die Reichweite, welche die Arbeit beim Grossverteiler mit sich bringt. Die eigentliche Verkostung des Brotes ist der letzte Schritt der Genussbeurteilung. Kohler schneidet Stücke, die aus zwei Dritteln Krume und einem Drittel Kruste bestehen. Es sei wie beim Wein: zuerst das Leichte, dann das Schwere. Das heisst fürs Brot: Zuerst nur die Krume probieren und dann «gut einspeicheln», sprich, vor allem gründlich kauen. Die Krume ist im Fall des Maggia- Brotes säuerlich-malzig mit fruchtiger Fermentationsnote. Als Nächstes ist die Kruste dran. Sie schmeckt, wie sie aussieht: röstig-rauchig. Alles in allem laut Kohler «eine Aromabombe».

ZWEI SEELEN IN EINER BRUST
Zur Sommelier-Ausbildung gehört auch, dass das Brot mit anderen Lebensmitteln «gepairt» werden muss. Kohler musste Käse- und Wein-Lektionen büffeln. Auf einer Platte hat er angerichtet, was er zu seinem Maggia-Brot empfehlen würde: ein Bio-Grigiotto- und ein Gottardo-Käse, Salami, Rohschinken, Pancetta und Copetta. Dazu Apfelsaft oder Tessiner Merlot. «Zum Maggia würde auch ein Gruyère passen, aber ich gestalte Pairings gerne so regional wie möglich.» In Rudolf Kohlers Brust wohnen zwei Seelen – der Boutique-Bäcker und der Grossbäckerei-Entwickler. Die Ausbildung zum Brotsommelier ermöglicht es ihm, beides auszuleben. «Irgendwann ein Sommelier-Brot zu entwickeln wäre toll. Oder gleich eine ganze Palette davon.»

«Ich könnte ewig weitertüfteln»

 

Text: Xenia Klaus
Foto: Nora Dal Cero