Montag, 29.09.2025

Ein Koch geht ganz eigene Wege

Im Engadiner Brail liegt ein Hauch Magie in der Luft: die des Arvenbaums. Der heimische Hotelier und Spitzenkoch Dario Cadonau entzückt mit der Arven auch den Gaumen.

Brauchen die Unterländer Hilfe?» Der Engadiner Sternekoch Dario Cadonau erklimmt den steilen Hang behände wie ein Steinbock und blickt dabei lachend auf den abgeschlagenen Begleittrupp zurück. Hier in Brail GR, auf knapp 2000 m ü. M., liegt der idyllischste Arvenplatz des 45-Jährigen. Und hier sammelt er die Zapfen und schneidet ein paar der untersten Nadelbüsche ab, um sie für seine Rezepte zu verwenden. Die «Arven-Ernte» hat er zur Chefsache erklärt, denn die kurzen Auszeiten vom teils hektischen Hotel- und Restaurantbetrieb tun ihm gut. «Leider kommen wir jetzt tatsächlich zu spät», erklärt Cadonau sichtlich enttäuscht, nachdem er unter den dichten Nadelholzgewächsen nach unversehrten Zapfen gesucht hat. «Hier war jemand ungewöhnlich früh am Werk.» Und es stimmt: Es liegen nur noch vereinzelte und bis zur Unkenntlichkeit abgeknabberte Zapfen unter den Bäumen. Die Tiere bereiten sich auf den Winter vor. Vor allem der Tannenhäher versteckt die Samen gerne im Boden als Wintervorrat und trägt somit zur Verbreitung der Baumart bei. Denn: Einige Verstecke finden die Vögel nicht wieder. Die «Zapfen-Pleite» ist nicht weiter tragisch, denn es lagern genügend in Öl eingelegte Exemplare im Vorratskeller des Hotels. Im «In Lain» (rätoromanisch für «Aus Holz»), dem Fünf-Sterne-Refugium der Cadonau-Familie, dreht sich fast alles um die Arve. «Das Aroma ist in unserem Haus so bewusst wahrnehmbar, weil hier alles aus reinem Arven-Massivholz gestaltet ist», erklärt Dario Cadonau. Um den Innenausbau hat sich sein Bruder Marco (47) gekümmert, der Schreiner und ein wahrer Holzkünstler ist.

DIE KÖNIGIN DER ALPEN
Die «Dschember» (rätoromanisch für Arve) wächst in der Schweiz hauptsächlich im Engadin und in den südlichen Walliser Seitentälern. Sie gilt als Königin unter den Bergbäumen, da sie so hoch im alpinen Raum wie keine andere Art wächst. Über 80 Prozent ihres Bestandes befinden sich oberhalb von 1800 m ü. M. Der auch Zirbelkiefer genannte Baum trotzt zudem Temperaturen von bis zu minus 43 Grad Celsius und kann bis zu 30 Meter hoch sowie 1000 Jahre alt werden. Die buschigen, weichen Nadeln und jungen Triebspitzen dienen zur Gewinnung des ätherischen Öls. Man vermutet, dass der hohe ätherische Ölgehalt der Arven im Frühjahr und Herbst dafür verantwortlich ist, dass sie dann wie von einem mystisch-bläulichen Schimmer umgeben sind.

KÜCHENKUNST MIT ARVE
«Bereits mein Vater war Schreiner und als wir zwei Jungs klein waren, brachte er oft einen grossen Sack mit frischen Arvenspänen mit nach Hause», erinnert sich Dario Cadonau. In den Haufen der samtenen Flocken – Arvenholz splittert nicht – spielten die Brüder endlos mit ihren kleinen Traktoren. Weil er mit dem Holz aufgewachsen ist, war es für den Koch ein natürlicher Prozess, auch in der Küche mit der Arve zu experimentieren. «Unsere Liebe zur Arve wollte ich in einen Willkommensgruss für unsere Gäste einbauen. So ist die Idee des Champagners mit einem Schuss Arvensirup entstanden.» Der Sirup aus den Arvennadeln ist dabei zu einem kleinen Verkaufsschlager geworden. Als Nächstes folgte das Rindsfilet im Arvenmantel. Hierfür liefert Bruder Marco das hauchdünne Arvenband, mit dem das Filet ummantelt und danach vakuumiert wird. Dabei zieht das feine Holzaroma ins Fleisch ein. Dieses Filet ist heute eines von Cadonaus unverwechselbarsten Gerichten. Mittlerweile lassen sich die Arvennoten in mannigfachen Rezepten herausschmecken, vor allem in den süssen. Da ist die Ganache für Pralinen, die teils auch knackige Arvensamen enthält. Hierfür werden die Arvenzapfen in Öl eingelegt und die Essenz später der Ganache beigemengt. Das Öl verfeinert überdies Brownies und Butter. Zudem häxelt Dario Cadonau die Arvennadeln ganz fein und mengt sie Brotteig bei. So erhält es eine zarte hellgrüne Farbe – wie auch das Arvenglace. Hierfür werden die Nadeln in der Milch ausgekocht. «Das jahrelange Herumexperimentieren zahlt sich aus, da wir jetzt eine ganze Palette an Arvenspezialitäten anbieten können», erzählt der zweifache Vater enthusiastisch. «Ich habe mit meinen Kindern auch schon eine Bachforelle in Arvenspänen geräuchert. Die ist richtig fein geworden.» Und es wird sogar ein Arventee serviert. So schlummert es sich dann im Arvenzimmer samt Arvenkissen dreifach gut.

DARIO CADONAU
2007 gestaltete der Gastronom Dario Cadonau (1 Michelin-Stern, 17 Gault-Millau-Punkte) das grosselterliche Engadinerhaus in Brail zum Hotel um. Nun umfasst das Fünf-Sterne-Haus «In Lain» drei Restaurants und 14 Suiten. Allgegenwärtig: Der heimelige Duft des Arveninterieurs. Der Hotelfachmann lebt mit seiner Frau Tamara und den zwei Kindern im Nachbarhaus.

 

Text: Kristina A. Köhler
Foto: Olivia Pulver