Montag, 01.09.2025

Kleines Gesamtkunstwerk

In Solothurn lebt und kocht Sonja Guzzanti nach ihrem eigenen Kopf. Und hat damit Erfolg. Der Besuch im kleinsten Solothurner Restaurant mit sechs Tischchen ist nicht nur kulinarisch eine Offenbarung.

Es ist wie Heimkommen. Wie früher, als man nach einer langen Reise an den mütterlichen Tisch sass, der feinen Dinge harrte, die da kamen, und sich einfach wohlfühlte. Geborgen. Wer also das «Mediterrane Leckereien» betritt, der kommt heim zu «Söne», wie die Stammgäste die Köchin, Sommelière, Bardame, Servicefachfrau und Gastgeberin in Personalunion, Sonja Guzzanti, nennen. Und Stammgäste sind in Sönes kleiner Stube am Landhausquai eigentlich alle. Denn wer sich einmal von der Frau mit der rauchigen Stimme in ihrer kleinen Küchenstube bekochen – ach was, verwöhnen – lässt, reserviert gleich wieder. Denn ohne Reservation geht nichts, die kleinen Tische sind auf Wochen hinaus an jedem Abend besetzt.

«MACH ETWAS DRAUS»
Das Mediterrane Leckereien – kurz Medileck – ist auf den ersten Blick eine Kunstausstellung. Auf den zweiten auch. Gar das WC sieht aus wie das Atelier von Frida Kahlo. Aber das ändert ständig. Das Geschirr handgetöpfert, die Bilder an der Wand von (Un-)Berühmtheiten, die Rosen auf dem Tisch das Geschenk eines Gastes. Die Gastgeberin ist mit allen per Du. «Es ist mein Lokal, und ich lege die Regeln fest», ist ihr Kommentar dazu. Sie sagt auch, was es am Abend – mittags ist das Restaurant geschlossen – auf den Teller gibt. Speisekarte? «Die Speisekarte bin ich, und mich kann man am Schluss nicht mitnehmen.» Schon klar, da hätte wohl auch ihr Mann aus Sizilien etwas dagegen. Sonja Guzzanti ist eigentlich eine Eingeborene aus Solothurn. Dort, wo sie heute ihre Küche samt ihren An- und Einsichten zelebriert, wohnte früher mal die Urgrossmutter. Woher also diese Affinität zur Küche jenseits von Züri-Gschnetzeltem und Olma-Bratwurst? «Ich zaubere dir eine Bratwurst auf den Tisch, wie du sie noch nie gegessen hast – kein Problem. Aber meine Eltern haben mir bereits als kleinem Mädchen gezeigt, wie gut – einfach als Beispiel – etwa die indonesische Küche schmeckt. Und dass Streuwürze nicht das Mass aller Dinge ist.» Ihre sizilianische Schwiegermutter hat ihr dann die Türe zu den Herrlichkeiten der mediterranen Küche aufgestossen. «Sie hat auch mein Kochtalent aufgeweckt, das damals noch im Dornröschenschlaf lag. Mach etwas daraus, hat sie gesagt.» Die ehemalige Bahnhofbuffet- Serviertochter machte. Mit 20 beispielsweise die Wirteprüfung. Dann verabenteuerte sie sich in fast alle Küchen ums Mittelmeer und kocht heute mit dem, was der Wochenmarkt hergibt und die türkischen, italienischen oder griechischen Händler vor Ort besorgen können. «Ich backe auch jeden Tag etwa sechs verschiedene Brötchen und Brote», sagt sie nebenbei.

IN DIE AUGEN SCHAUEN
Wenn Sonja Guzzanti Angst vor etwas hat, dann ist es wohl Langweiligkeit in jeglicher Form und Routine. Nicht nur die Kunst an den Wänden oder eben dem WC wechselt immer wieder, auch die Weine, die die Kochkünstlerin anbietet, sind alle paar Monate andere. «Es ist klar, dass ich jeweils eine Weindegustation mache und auswähle, was mir und voraussichtlich auch den Gästen mundet. Und ob nun Wein oder Zutaten – ich kaufe nicht übers Internet ein. Ich muss schmecken, riechen, spüren, probieren und dabei den Produzenten oder Lieferanten in die Augen schauen», sagt die Köchin, die nie eine entsprechende Lehre gemacht hat. Die Butter aus Olivenöl, welche mit Olivenbrot zum Krebsschwanzsalat gereicht wird, kommt aus dem Nachbardorf. Der Kaffee aus Neapel.

GESCHICHTEN HÖREN
Während sie erzählt, arbeitet Sonja Guzzanti auf engstem Raum am Kochherd, der sich hinter die Theke und die sechs Tischchen zwängt. Man möchte der Frau am liebsten ewig zuhören und zusehen. Aber dann kommen die ersten Gäste. Und während «Söne» kocht, serviert, kredenzt, Witze macht, Drinks mixt – während das alles passiert und unbekannte Düfte die Magensäfte aktivieren –, kommt man zum Schluss: Die Köchin und ihr Medileck – das ist keine Frau mit einem Restaurant, das ist ein Gesamtkunstwerk.

SONJA «SÖNE» GUZZANTI
Alter:
56
Koche ich, wenn ich alleine bin: Pasta Napolitana
Buch auf dem Nachttisch: Sadhguru Karma Sehnsuchtsort: Cadiz
Finde ich überschätzt: Minimalismus

 

Text: Franz Bamert
Foto: Stoeh Gruenig