Montag, 28.07.2025
Vom Luxushotel zum Lieblingshostel
Als der liebe Gott diesen Flecken Erde schuf, hatte er einen sehr guten Tag: Sanfte Wellen laufen sich am Strand aus, die Sonne lässt ihre Strahlen auf dem Wasser tanzen, der Wind verfängt sich in Palmblättern und von irgendwoher hört man Kinderlachen. Adria? Côte d’Azur? Oder gar Hawaii? Nein, Rotschuo! Das ist ein Ortsteil von Gersau SZ direkt am Vierwaldstättersee, und im Zentrum dieses kleinen Juwels befindet sich das gleichnamige Hostel.
HOSTEL, NICHT HOTEL
Spätestens jetzt hat es sich mit dem Romantisieren. Denn am und im Juwel muss täglich gearbeitet werden. Dafür sind seit zehn Jahren Manuela und Jörg Haupt zuständig: «Wir betreuen von März bis Oktober um die 12 000 Übernachtungsgäste », erzählt Jörg Haupt, der unter anderem in Celerina GR im Cresta Palace Küchenchef war. Seine Frau, die im Kronenhof in Pontresina GR als Gouvernante wirkte, ergänzt: «Das leisten wir mit sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.» Die Erklärung dazu: Das Rotschuo ist kein Hotel, sondern ein Hostel mit einem Basic-Angebot. Warum steigt jemand von den kulinarischen Höhen der Engadiner Luxus-Hotellerie in die (vermeintlichen) Niederungen einer Familien- und Jugendherberge hinab? «Eben genau deshalb, wegen den Familien und den Jugendlichen, die sich die Schönheiten der Schweiz ohne Orte wie das Rotschuo nicht leisten können», sagt Jörg Haupt. Die Anlage gehört seit 1963 einer Stiftung, die sich genau diesen Zweck auf die Fahne geschrieben hat. Die Mahlzeiten sind sehr günstig, eine Übernachtung – selbst im altehrwürdigen Chalet-Zimmer – kostet nur 50 Franken pro Person mit Frühstück. Die Benutzung des riesigen Areals mit Bootshaus und Spielplatz, Strand und Sonnenschirm ist sowieso gratis.
GÄSTE WERDEN FREUNDE
Nicht zu bezahlen ist die Gastfreundschaft der Familie Haupt. «Als wir hier anfingen, blieben die meisten Gäste nur eine Nacht auf der Durchfahrt von Norden nach Süden», sagt Jörg Haupt. «Doch ich habe in der Spitzenhotellerie unter vielem anderem auch das gelernt: Erst wenn die Gäste nicht mehr ins Rotschuo kommen, sondern zu Manuela und Jörg – wenn also aus anonymen Gästen liebe Bekannte oder gar Freunde werden –, dann habe ich aus meinem Beruf eine Berufung gemacht. Dann floriert auch der Betrieb.» Heute ist das Rotschuo ein beliebtes Ferienziel für Einzelreisende und eben Familien, Vereine und Schulklassen. Der Chef hat noch einen Spezialtipp: «Besonders im Herbst, wenn es andernorts schon kalt wird, beschert uns der See ein schön mildes Klima.» Alles gut also im Rotschuo? «Jein», sagen Manuela und Jörg unisono. Denn die diversen Gebäude, deren ältestes im Mittelalter erbaut wurde, sind, nun ja, innovationsbedürftig. Das wird beim Gang durch die Räumlichkeiten sichtbar. Vieles haben die Haupts selber gemacht: neue Böden gelegt, gemalt, Möbel geschreinert oder mit Zwischendecken aus überhohen Räumen Familienzimmer gemacht. Die meisten Räume sind Unikate, liebevoll eingerichtet, und man versteht sofort, dass sich hier viele Gäste auf Anhieb daheim fühlen.
HOFFNUNG AUF SPONSOR
«Aber es gibt eben auch Dinge, die wir nicht selber machen können, weil zum einen der Raum und zum anderen die Finanzen fehlen», meint Jörg und zeigt eine Reihe schmaler Zimmer ohne WC oder Dusche. Der Stiftung fehlt das Geld, die Übernachtungs- und Menu-Preise können nicht erhöht werden, weil das dem Stiftungsgedanken widerspricht. Und auch nichts bringt: «Wir reden hier von vierstelligen Beträgen oder mehr. Wenn wir da bei unseren Kunden den einen oder anderen Franken aufschlagen, ist das wie ein Regentropfen in den Vierwaldstättersee», so der Hotelier, Koch und Handwerker in Personalunion. Er lacht dabei, jedoch das Lachen hat einen leicht bitteren Nachklang. Doch die Hoffnung haben die Haupts nicht aufgegeben: «Vielleicht findet sich ein Gönner, ein Mäzen, dem es wichtig ist, dass Kinder und Familien zu bezahlbaren Preisen die Urschweiz erleben können.»
MANUELA HAUPT
Alter: 47
Lieblingsdestination: der Vierwaldstättersee mit seinen Alpen
Lebensmotto: Aus innerer Stärke entsteht Leichtigkeit – und aus Leichtigkeit echte Wirkung
Ausgleich: Tanzen, Wandern im Hochgebirge
JÖRG HAUPT
Alter: 56
Lieblingsdestination: Das Rotschuo
Lebensmotto: Lerne aus deiner Vergangenheit und schaffe ein Morgen mit Zukunft
Ausgleich: Fitnesstraining
Text: Franz Bamert
Foto: Thomas Zimmermann