Montag, 05.02.2024

Auf dem Gipfel der Kochkunst

Die beiden Schweizer Koch-Nationalmannschaften kämpfen derzeit in Stuttgart (D) um Medaillen. Wie laufen die Vorbereitungen? Worauf kommt es am grossen Tag an? Der ehemalige Coach der Junioren- und der «normalen» Kochnationalmannschaft, Tobia Ciarulli, erzählt.

Zwei Weltmeistertitel. 19 Goldmedaillen an Olympiaden. Zahlreiche weitere Medaillen und Auszeichnungen. Und das alles in sieben Jahren: Viel mehr kann man als Schweizer (Junioren-)Kochnationalmannschaft nicht erreichen. Der Mann hinter den Erfolgen heisst Tobia Ciarulli, er coachte die Equipen zwischen 2016 und 2023. Wenn einer weiss, wie man an solchen Wettbewerben erfolgreich ist, welches Geheimnis dahintersteckt, dann der Mann aus einem kleinen Dorf in den italienischen Abruzzen. Aber er winkt ab und sagt: «Es gibt keine Geheimnisse. Es gibt nur die grosse Liebe zum Kochen, kombiniert mit unendlich viel Arbeit, Ehrgeiz und dem Willen, das Beste zu geben.»

Das Beste können aber nur die Besten geben. Ciarulli hat früher selbst an nationalen und internationalen Wettbewerben teilgenommen und später dann als Juror fungiert. «Als ich die beiden Mannschaften übernahm, wurde ich mein eigener Talent-Scout, besuchte junge Köchinnen und Köche, lud sie zu Gesprächen ein und stellte so mein jeweiliges Team zusammen.» Dabei geht es nicht nur um das fachliche Können. «Aus Einzelkämpfern muss ich eine Crew bilden, eine Gemeinschaft, in der sich am Tag X jede auf jeden verlassen kann.» Wenn er erzählt, dann klingt er fast wie ein Fussball-Trainer: «Du musst herausfinden, wer auf welcher Position der oder die Beste ist, wer als Leader taugt, wer mit wem optimal harmoniert.» Dazu sind die Trainings in Sursee LU da, in den Räumlichkeiten des Nationalmannschaft-Sponsors Electrolux. An 36 Tagen pro Jahr wird dort am Können und vor allem auch an Ideen gefeilt. «Aber wenn die Mitglieder nach den Trainings zurück in ihre Betriebe gehen, müssen sie diese Ideen weiterentwickeln und mit neuen Kreationen zurückkommen.» Manchmal werden noch kurz vor dem grossen Tag Details optimiert.

Der nächste dieser grossen Tage findet jetzt statt: In Stuttgart (D) geht in dieser Woche die Olympiade der Köche über die Bühne. Sechs Köchinnen oder Köche müssen jeweils in sechs Stunden in zwei Disziplinen bestehen: Einmal geht es darum, ein Dreigang-Menü für 110 Personen zu kochen, einmal ist ein Fünfgänger für 12 Gäste gefragt. «Dabei bist du keinen Moment unbeobachtet. Jeder Schnitt, den du machst, jede Bewegung wird registriert», erklärt Ciarulli. Bewertet werden die Technik, die Hygiene, der Arbeitsablauf, die Skills oder auch das, was am Ende übrigbleibt: Maximal erlaubt sind 10 Prozent Reste. «Fischgräten etwa landen nicht im Abfall, aus ihnen könnte man noch einen Fisch-Sud machen.» Gemessen und bewertet wird auch die Zeit, die vom Moment der Bestellung bis zum Ausliefern vergeht. «Aber klar – das Wichtigste ist der Geschmack», so Tobia Ciarulli. Dafür werden 50 Prozent der Punkte vergeben. Jemand aus dem Kochteam passt auf, dass die Abläufe reibungslos funktionieren und greift nötigenfalls ein. Jeder Teller muss genau gleich aussehen. «Es geht auch nicht nur um einzelne Speisen», so der Spitzenkoch, der im Berner Oberland wohnt und dem eine Fachzeitschrift den Titel «Maestro von Gstaad» verliehen hat. «Die Gänge, aber auch das gesamte Menü muss sensorisch, geschmacklich und visuell harmonieren.» Ein kulinarisches Gesamtkunstwerk sozusagen.

Die Jurorinnen und Juroren müssen sich selbst in der Spitzengastronomie bewährt und ein Juroren-Seminar besucht haben. Ihnen entgeht nichts, haben sie doch oft selbst schon an vielen Wettbewerben teilgenommen. Vor so vielen Kapazitäten kann schon mal eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer das Nervenflattern bekommen. Tobia Ciarulli ist sich dessen bewusst: «Gute Coaches sind auch Psychologen, führen Einzelgespräche, motivieren und machen Mut.» Er gibt seiner Crew auch einen Rat mit auf den Weg: «Wenn du deine Arbeit machst, dann mach sie mit Freude und so gut es nur geht. Dann erreichst du das Ziel.» Auch an der Olympiade in Stuttgart.

 

TOBIA CIARULLI
Alter: 61
Lieblingsessen: Rösti mit Züri-Geschnetzeltem
Sehnsuchtsort: Ich habe keinen bestimmten Ort, sondern wähle nach Bedarf.
Dieses Buch liegt auf dem Nachttisch: «De la science aux fourneaux» von Hervé This
Das Wichtigste im Leben: Meine Familie

 

Text: Franz Bamert
Foto: Heiner H. Schmitt